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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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beobachten, die von Haus zu Haus eilten, um ihre Verwandten zu warnen, während andere ihr Hab und Gut auf Pferdewagen luden, die ganz sicher auch vom langsamsten deutschen Panzer eingeholt wurden. Jetzt ist nicht die Zeit, sich Sorgen um Hab und Gut zu machen, hätte Lubji den Leuten am liebsten zugerufen, Möbel und Kleider kann man nicht erschießen.
    Doch niemand blieb lange genug stehen, um dem hochge-
    wachsenen, muskulösen jungen Mann mit den langen
    schwarzen Ringellocken zuzuhören, der die Einheitskleidung der jüdischen Oberschule trug. Als die deutschen Panzer das Schulgebäude umzingelten, hatte Lubji bereits mehrere Kilometer auf der Straße zurückgelegt, die nach Süden zur Grenze führte.

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    An Schlaf dachte er nicht einmal. Er konnte bereits das Donnern von Geschützen hören, als die anrückenden deutschen Truppen sich von Westen her der Stadt näherten. Unentwegt marschierte Lubji weiter, vorbei an jenen, die viel zu langsam vorankamen, weil sie all ihre Habe zogen oder schoben, die sie im Laufe des Lebens angesammelt hatten. Er überholte
    schwerbeladene Esel; Karren, deren Räder dringend repariert werden mußten; Familien mit kleinen Kindern und greisen Frauen und Männern, die kaum die Chance hatten, sich
    rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Er sah, wie Mütter ihren Söhnen die Locken abschnitten und alles fortwarfen, das sie als Juden verraten könnte. Gern wäre er stehengeblieben, um ihnen deshalb Vorhaltungen zu machen; doch er wollte keine
    kostbare Zeit verlieren. Er schwor, sich durch nichts auf der Welt dazu bringen zu lassen, seinen Glauben aufzugeben.
    Die Disziplin, die man Lubji in den vergangenen zwei
    Jahren auf der Oberschule gelehrt hatte, machte es ihm leichter, ohne Essen und Trinken und ohne Rast bis zum Tagesanbruch weiter zu marschieren. Schließlich aber mußte er sich ein wenig Schlaf gönnen: beim ersten Mal hinten auf einem Karren, beim zweiten Mal auf dem Beifahrersitz eines
    Lastwagens. Lubji war fest entschlossen, ein befreundetes Land zu erreichen und sich auf dem Weg dorthin durch nichts und niemanden aufhalten zu lassen.
    Obgleich die ersehnte Freiheit keine zweihundert Kilometer entfernt war, sah Lubji die Sonne dreimal auf- und untergehen, ehe er endlich die Rufe jener Menschen hörte, die an der Grenze zum freien, unabhängigen Ungarn angelangt waren.
    Schließlich blieb er am Ende einer schier endlos langen Schlange hoffnungsvoller Einwanderer stehen. Drei Stunden später waren die Wartenden nur ein paar hundert Meter vorangekommen, und die Flüchtlinge, die vor Lubji standen, ließen sich für die Nacht nieder. Besorgte Augen blickten in die Runde und sahen dunklen Rauch zum Himmel steigen, und 71
    alle vernahmen das Donnern von Geschützen, als die
    Deutschen ihren unerbittlichen Vormarsch fortsetzten.
    Lubji wartete, bis es stockdunkel war; dann ging er lautlos an den schlafenden Familien vorbei, bis er die Lichter des Grenzpostens deutlich sehen konnte. So unauffällig wie möglich legte er sich in den Straßengraben und benutzte seine Reisetasche als Kopfkissen. Als der Grenzbeamte am Morgen die Schranke hob, wartete Lubji an der Spitze der Schlange.
    Nachdem die Wartenden hinter ihm erwachten und den
    unentwegt Psalmen murmelnden jungen Mann in seiner
    Schuluniform sahen, dachte nicht einer daran, ihn zu fragen, wie er nach vorn in die Warteschlange gekommen war.
    Der Grenzbeamte vergeudete nicht viel Zeit mit der
    Durchsuchung der kleinen Reisetasche. Nachdem Lubji über die Grenze war, hielt er sich auf der Straße nach Budapest, der einzigen ungarischen Stadt, von der er gehört hatte. Von großzügigen Familien, die erleichtert waren, den Deutschen entkommen zu sein, mit Nahrungsmitteln versorgt, erreichte Lubji nach weiteren zwei Tagen und Nächten am 23.
    September 1939 die Außenbezirke der ungarischen Hauptstadt.
    Beim Anblick Budapests glaubte Lubji, seinen Augen nicht trauen zu können. Bestimmt war dies die größte Stadt der Welt.
    Er verbrachte mehrere Stunden allein damit, durch die Straßen zu spazieren, und jeder Schritt berauschte ihn mehr. Schließlich ließ er sich erschöpft auf der Freitreppe einer großen Synagoge nieder. Als er am nächsten Morgen erwachte, galt seine erste Frage nach dem Weg zum Marktplatz.
    Beinahe ehrfürchtig starrte Lubji auf die schier endlosen Reihen von Ständen und Buden – so weit, wie das Auge
    reichte. An einigen Verkaufsständen wurde nur Gemüse oder Obst angeboten; an anderen alte Möbel,

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