Imperium
er sich.
»Als stellvertretender Geschäftsführer.«
»Und mein Gehalt?« Als Lubji den Betrag gehört hatte, schwieg er, obwohl hundert Pengö die Woche fast doppelt soviel war, wie Herr Cerani ihm bezahlte.
»Und wo soll ich wohnen?«
»Über dem Laden ist ein Zimmer«, antwortete Herr Farkas.
»Ich glaube, es ist viel größer als die Dachkammer, die Ihnen die Ceranis zur Verfügung gestellt haben.«
Lubji blickte zu ihm hinunter. »Ich werde mir Ihr Angebot durch den Kopf gehen lassen, Herr Farkas.« Und wieder lüpfte er den Hut. Als er zum Haus der Ceranis gelangte, hatte er beschlossen, Herrn Cerani von diesem Gespräch zu erzählen, ehe es jemand anderes tat.
Der alte Mann zupfte an seinem dichten Schnurrbart und 77
seufzte, als Lubji zum Ende kam. Doch er sagte nichts.
»Ich habe ihm natürlich zu verstehen gegeben, daß ich nicht daran interessiert bin, für ihn zu arbeiten«, fügte Lubji hinzu und wartete auf eine Reaktion seines Chefs. Doch Herr Cerani schwieg weiterhin. Erst beim Abendessen brachte er das Thema zur Sprache. Lubji lächelte, als er erfuhr, daß er zum Wochenende eine Lohnerhöhung erwarten dürfe. Doch am
Freitag war er sehr enttäuscht; ein Blick in das kleine braune Kuvert zeigte ihm, wie gering diese Erhöhung war.
Als Herr Farkas sich am nächsten Samstag bei Lubji
erkundigte, ob er sich entschieden habe, antwortete der junge Mann lediglich, daß er mit seinem derzeitigen Lohn zufrieden sei. Er verbeugte sich tief, ehe er davonschritt – und hoffte, den Eindruck hinterlassen zu haben, erst bei einem nochhöheren Angebot interessiert zu sein.
Während Lubji in den nächsten Wochen seiner Arbeit
nachging, blickte er hin und wieder zu dem großen Zimmer über dem Zeitschriftenladen auf der anderen Straßenseite hinauf. Und nachts, wenn er wach im Bett lag, malte er sich aus, wie es wohl im Inneren des Zimmers aussah.
Nach einem halben Jahr bei den Ceranis hatte Lubji fast seinen gesamten Lohn sparen können. Seine einzigen größeren
Ausgaben waren die für einen zweireihigen Anzug, zwei Hemden und eine getupfte Krawatte gewesen, alles aus zweiter Hand; diese Sachen hatten erst kürzlich seine Schulkleidung ersetzt. Doch ungeachtet seiner materiellen Sicherheit machte er sich immer größere Sorgen darüber, in welches Land die Deutschen als nächstes einfallen würden. Nach Hitlers Blitz-krieg in Polen hatte der deutsche Diktator dem ungarischen Volk in wiederholten Reden versichert, daß er es als Verbündeten betrachte. Doch nach Hitlers bisherigem Vorgehen zu schließen, hatte das Wort »Verbündeter« in Deutschland vielleicht eine andere Bedeutung als in Polen.
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Lubji versuchte, die Gedanken an eine neuerliche Flucht zu verdrängen, doch mit jedem Tag wurde ihm schmerzhafter bewußt, daß er Jude war; die Leute ließen es ihn spüren, und Lubji entging nicht, daß so mancher Bürger Budapests sich offenbar darauf vorbereitete, die Nazis willkommen zu heißen.
Eines Morgens, auf dem Weg zur Arbeit, spuckte ein
Passant Lubji an. Er war wie vom Donner gerührt. Doch schon im Laufe der nächsten Tage häuften sich derartige Vorfälle.
Dann wurden die ersten Steine auf Herrn Ceranis Auslage geworfen, und einige Stammkunden kauften von nun an auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei Herrn Farkas ein.
Dennoch wies Herr Cerani unerschütterlich darauf hin, daß Hitler kategorisch erklärt habe, er werde die ungarische Gebietshoheit niemals verletzen.
Lubji erinnerte seinen Chef daran, daß der Führer sich genau dieser Worte bedient hatte, bevor er in Polen eingefallen war.
Lubji wußte, daß sein bisher gespartes Geld nicht reichte, eine weitere Grenze zu überqueren; deshalb ging er am nächsten Montag, noch ehe die Ceranis zum Frühstück
heruntergekommen waren, entschlossen über die Straße und betrat den Laden der Konkurrenz. Herr Farkas konnte seine Verwunderung nicht verhehlen, als er Lubji durch die Tür kommen sah.
»Gilt Ihr Angebot noch, mich zum stellvertretenden
Geschäftsführer zu machen?« fragte Lubji sofort, da er nicht gern auf der falschen Straßenseite ertappt werden wollte.
»Nicht für einen Juden, o nein«, antwortete Herr Farkas und blickte ihn an, ohne im mindesten verlegen zu werden. »Mögen Sie noch so tüchtig sein. Sobald Hitlers Wehrmacht nach Ungarn kommt, übernehme ich sowieso Ihren Laden.«
Lubji ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Als Herr Cerani eine Stunde später in sein Geschäft kam, erzählte Lubji
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