Imperium
darin war demnach nicht nur Symbol für, sondern tatsächlich Leib und Blut Christi. Dies hatte er auch in seinem kurzen katholischen Theologieseminar in Nürnberg so dargelegt und nun, auf dieser tropischen Eisenbahnfahrt, von ganz anderer Seite bestätigt gefunden - der Moment der Eucharistie, sprich, der Wesensverwandlung, war durchaus als reale Einswerdung mit dem Göttlichen zu verstehen. Nur waren die Hostie und der Meßwein nicht zu vergleichen mit dem wirklichen Sakrament der Natur, seiner köstlichen, genialen Frucht - der Kokosnuß.
Govindarajan freute sich ganz augenscheinlich, so zufällig einen Fruktivoren-Bruder getroffen zu haben, und lud ihn nun ein - der Zug überwand in diesem Augenblick keuchend und spotzend eine der letzten Spitzkehren und begradigte seinen Schienenlauf in Richtung der alten ceylonesischen Königsstadt -, mit ihm den Tempel des Zahnes zu besichtigen. Man werde in Kandy ein Zimmer nehmen und gemeinsam von dort aus, nach einem üppigen Früchtelunch, zum Tempel aufbrechen, der, so Govindarajan, nur wenige erbauliche Schritte vom Stadtzentrum entfernt auf einem kleinen Hügel oberhalb des Kandy-Sees liege.
Im Queen’s Hotel beschlossen sie, sich aus Kostengründen ein Zimmer zu teilen, was für gewissen Argwohn seitens des Rezeptionisten sorgte, der sich aber dann, als Engelhardt einige Scheine auf den Tresen legte und beteuerte, er wolle gerne ein Trinkgeld im voraus bezahlen, rasch legte. Man war die Spleenigkeit der Angelsachsen gewohnt, und wenn dieser deutsche Herr hier mit einem tamilischen Freund im selben Zimmer schlafen wolle, bitte sehr. Es kam noch die Frage, ob man mit den Herren zum Lunch rechnen dürfe, worauf beide auf englisch antworteten, es wäre ihnen durchaus mit einigen Papayas und Ananas genug, falls allerdings eine Kokosnuß zur Hand wäre, würde man sich überaus glücklich schätzen, die Kokosmilch in einem Glas und das Fruchtfleisch ausgelöst auf einem Teller serviert zu bekommen. Der Rezeptionist verbeugte sich, drehte sich um und verschwand Richtung Küche, die Augen verdrehend, um dort die Bestellung der beiden Fruktivoren aufzugeben.
Satt, trotz der Bahnfahrt ausgeruht und mit der euphorischen Laune eines Pilgerpaares, dessen Ziel ihnen, lange versprochen, nun unmittelbar vor Augen liegt, schlenderten die beiden über die Straße und lehnten sich alsdann über eine steinerne Brüstung, um sich kurz im heiligen See gespiegelt wiederzufinden, auf dessen Oberfläche Lotus- und Frangipaniblüten trieben. Eine Gruppe kahlrasierter Mönche eilte schwatzend vorbei, ein jeder von ihnen einen schwarzen aufgerollten Regenschirm in der Hand, safrangelb leuchteten ihre Kutten in der Nachmittagssonne. Ein schlanker Fant im weißen Flanell brauste winkend auf einem Hochrad vorüber, zweimal in rascher Abfolge den schwarzen Gummibalg der Hupe an seinem Lenker betätigend. Govindarajan wies mit einem Stock (hatte er vorhin schon einen dabeigehabt?) Richtung Tempel, und nun schickten sie sich an, die zum Tabernakel hinaufführenden Stufen zu besteigen.
Die beiden Pilger betupften die feuchten Stirnen mit Taschentüchern, wendeten sich weiter oben um und blickten hinab auf den künstlichen See, Anfang des letzten Jahrhunderts von König Sri Vikrama Rajasinha angelegt. Govindarajan belehrte Engelhardt mit einer sonderbar wirkenden Miene der Genugtuung, daß das Angeln von Beginn an immer strengstens verboten gewesen sei. Auch gehe die Legende, daß die kleine Tempelinsel dort, in der Mitte des Sees, dem König der Singhalesen als heimliche Bade- und Koitusstelle gedient habe und daß ein versteckter Tunnel unter dem See vom Palast zu ebendieser Insel führe. Wieder hob Govindarajan den Stock und deutete mit der Spitze, die, wie Engelhardt plötzlich wahrnahm, aus getriebenem Messing bestand, in jene Richtung. Engelhardt bemerkte, daß der Tamile noch stärker lächelte als zuvor und dabei das Gebiß regelrecht bleckte wie ein Hund. Gestus und Mimik, die ihm noch auf der Zugfahrt sanft und traulich erschienen waren, wirkten mit einem Mal wie von einem theatralischen, schrillen Mißton überlagert.
Im feuchtwarmen Inneren des Schreins herrschte tiefe, allertiefste Dunkelheit. Ein Gong ertönte scheppernd und dumpf, sein Echo kehrte unversehens von den unsichtbaren Wänden zurück, die Engelhardt wie von Schleim überzogen schienen. Eine einzige Kerze brannte irgendwo. Er fühlte eine mesmerisierende Bedrohung durch sein Nervenkostüm jagen; die blonden Härchen an
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