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In aller Unschuld Thriller

In aller Unschuld Thriller

Titel: In aller Unschuld Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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wusste er, wo er nach ihr suchen sollte? Es musste nahezu aussichtslos sein, sie zu finden.
    Sie dachte an Lucy. Wo war sie? Hatte sie Angst? War sie bei David? War sie am Leben?
    Schuhe knirschten auf dem Kies. Ein Schlüssel wurde in das Schloss des Kofferraumdeckels gesteckt und umgedreht.
    Als der Deckel aufschwang, schien die Sonne Carey voll ins Gesicht und blendete sie. Ein Schatten beugte sich über sie, aber sie konnte kein Gesicht erkennen. Sie sah nur, dass die Haare schulterlang waren. Die Frisur einer Frau, dachte sie.
    »Du kannst jetzt rauskommen, Carey. Ich habe alles für dich vorbereitet.«
    Die Stimme eines Mannes.
    Er beugte sich nach unten, um ihr herauszuhelfen.
    Voller Angst holte Carey aus und stach mit dem Plastiksplitter zu, bohrte ihm die Spitze ins Gesicht. Er schrie auf und taumelte zurück.
    Raus hier! Raus!
    Die Gedanken rasten schneller durch ihren Kopf, als sie sich bewegen konnte. Sie hatte so lange zusammengekrümmt in dem Kofferraum gelegen, dass ihre Muskeln ganz steif waren, und von dem Überfall her hatte sie sowieso noch Schmerzen am ganzen Körper. Die Gehirnerschütterung bewirkte, dass ihr schwindlig wurde, als sie versuchte, aus dem Kofferraum zu klettern.
    Ihre Füße berührten den Boden, aber ihre Beine waren zu schwach und gaben unter ihr nach. Sie landete auf ihren aufgeschlagenen Knien und verspürte einen brennenden Schmerz.
    Mühsam richtete sie sich halb auf und versuchte zu fliehen, davonzulaufen, bevor sie noch richtig stand.
    Die Welt um sie herum kippte zuerst nach der einen Seite weg, dann nach der anderen. Sie stolperte vorwärts, fiel hin, rappelte sich wieder auf, fiel erneut hin. Der Boden kam auf sie zu, festgetretene Erde und Büschel braun verdorrten Unkrauts. Sie streckte die Arme aus, um den Sturz abzufangen, und Steinchen bohrten sich in ihre Handflächen.
    Das war ein Albtraum, und das Schlimmste daran war, dass sie hellwach war.
    Als sie erneut versuchte, sich aufzurichten, packten zwei Hände sie von hinten, zerrten sie in die Höhe und hielten sie fest. Carey versuchte, den Unbekannten zu treten, sich seinem Griff zu entwinden. Aber sie hatte nicht die Kraft, sich gegen ihn zu wehren oder sich zu befreien. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, hätte sie nicht davonlaufen können. Und selbst wenn sie das geschafft hätte – wohin hätte sie laufen sollen? Ringsum war nichts als Industriebrachland und ein paar Baumgerippe und Stoppelfelder.
    Sie zitterte vor Angst am ganzen Leib. Sie versuchte erst gar nicht, um Hilfe zu rufen, denn sie konnte sich vorstellen, dass ihr Entführer ihre Angst wahrscheinlich genießen würde, dass sie ihn erregen würde. Aber ihr stiegen die Tränen in die Augen und liefen ihr über die Wangen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    »Du musst nicht weglaufen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Ich würde dir niemals etwas tun, Carey. Du bist doch mein Engel.«
    Er drehte sie zu sich herum und hielt sie auf Armeslänge von sich weg.
    »O mein Gott«, flüsterte Carey, und blankes Entsetzen schnürte ihr die Luft ab.
    Das Erste, worauf ihr Blick fiel, war die klaffende Wunde an seiner Wange, wo sie ihn mit dem Plastiksplitter getroffen hatte. Blut sickerte daraus hervor, lief über sein Kinn, über seinen Hals, in den Ausschnitt seines braunen Pullovers.
    Das Zweite, was sie sah, war sein Make-up – die geschminkten Lippen, der übertriebene Lidschatten, die verschmierte Wimperntusche, das Rouge auf seinen Wangen. Seine Bartstoppeln bildeten unter dem viel zu dick aufgetragenen Make-up einen dunklen Schatten.
    Er hob eine Hand und zog sich die blonde Perücke vom Kopf.
    »Ich bin's«, sagte er, als wäre er ein lieber alter Freund. »Karl. Karl Dahl.«

54
    Carey starrte Dahl an – den kahlen Schädel, auf einer Seite blau verfärbt und verschorft, eine Verletzung, die offenbar von einem Schlag herrührte; das grelle Make-up; die blutende Wunde auf seiner Wange, die jedes Mal, wenn er durch den Mund atmete, aufklaffte und sich wieder zusammenzog. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er trug Frauenkleidung, einen wadenlangen braunen Rock und Schuhe mit flachen Absätzen.
    Hinter ihm, etwa zwanzig Meter weit weg und leicht nach rechts versetzt, war ein großes ausgebranntes altes Ziegelgebäude zu sehen. Zwei Stockwerke hoch und schwarz von Ruß, machte es den Eindruck, als stünde es schon seit langem leer. Die Fenster waren nurmehr dunkle, gähnende Löcher. An einigen Stellen, an denen das Dach entweder verbrannt oder

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