In aller Unschuld Thriller
Sie sich bitte nicht auf, Anka. Schläft Lucy?«
»Ja. Schon eine ganze Weile«, sagte das Kindermädchen.
Kovac nahm der Richterin den Mantel ab, und das Kindermädchen brachte ihn zur Garderobe, ohne ihre Arbeitgeberin aus den Augen zu lassen. »Aber sie ist verstört. Sie wollte zuerst nicht ins Bett. Und dann wollte sie unbedingt, dass ich das Licht auf ihrem Nachttisch brennen lasse.«
Die Richterin ließ sich auf einen schönen alten Holzstuhl sinken und schloss kurz die Augen. Kovac stellte sich dem Kindermädchen vor, das Anka Jorgenson hieß.
»Waren Sie den ganzen Abend über hier?«, fragte Kovac.
»Ja.«
»Kamen irgendwelche merkwürdigen Anrufe? Oder welche, bei denen gleich wieder aufgelegt wurde?«
»Nein. Allerdings hat jemand angerufen, der sich verwählt hatte«, sagte Anka nach einer Weile. »Ungefähr vor einer Stunde.«
»Wen wollte der Anrufer sprechen?«
»Marlene. Ich habe gesagt, dass hier niemand wohnt, der so heißt.«
Die Richterin öffnete die Augen und sah Kovac an. Wenn das überhaupt möglich war, dann war sie noch eine Spur blasser geworden.
Marlene wie Marlene Haas?, dachte Kovac. Die Frau, die dieser Karl Dahl von der Kehle bis zum Schambein aufgeschlitzt hatte? Er hatte in die Wunde frisch gepflückte Gänseblümchen gesteckt, als wäre sie irgendeine seltsame und makabre Skulptur in einer Surrealistenausstellung. Carey Moore dachte offensichtlich das Gleiche.
»War es ein Mann oder eine Frau?«
»Ein Mann. Er war sehr höflich«, sagte das Kindermädchen, als ob das bedeutete, dass es kein schlechter Mensch gewesen sein konnte. »Er hat sich entschuldigt.«
»Hat jemand heute Abend an der Tür geklingelt?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendwelche seltsamen Geräusche von draußen gehört?«
Die Augen des Kindermädchens füllten sich mit Tränen, als sie ihren Blick von Kovac zu Carey Moore wandern ließ. »Glauben Sie, dass der Mann, der Sie überfallen hat, hierherkommen wird? Und wer ist Marlene?«
»Wir sind nur vorsichtig«, sagte Kovac. »Öffnen Sie niemandem die Tür, den Sie nicht kennen. Und selbst wenn der Betreffende sagt, dass Ihre Mutter vor dem Haus auf der Straße im Sterben liegt.«
»Sie machen mir Angst«, sagte Anka und klang dabei fast wütend.
Kovac nickte. »Das ist gut. Zeigt das Telefon die Nummer der Anrufer an?«
»Ja«, sagte Anka. Sie nahm den schnurlosen Apparat von dem Tisch in der Diele, rief die Liste der eingegangenen Anrufe auf und reichte ihn Kovac.
»Wären Sie so nett, die Nummer für mich zu notieren?«, bat er. »Ich werde der Richterin die Treppe hinaufhelfen.«
»Ich schaffe das auch allein«, sagte diese und stützte sich auf den Tisch, als sie aufstand.
Kovac legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie zur Treppe. »Hören Sie endlich auf, die starke Frau zu markieren. Ich helfe Ihnen und damit Schluss. Wenn Sie stürzen und sich den Hals brechen, während ich hier bin, kriege ich nur Schwierigkeiten.«
Er hätte sie sich am liebsten über die Schulter geworfen und wie einen Sack Kartoffeln nach oben getragen, aber er hatte keine Lust, seinem Lieutenant dafür Rede und Antwort zu stehen.
»Und wagen Sie bloß nicht, etwas von Zufall zu faseln«, drohte er ihr, als sie langsam die Treppe hochstiegen. »Marlene ist kein besonders verbreiteter Name, und selbst wenn er das wäre, ginge die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass jemand versehentlich diese Nummer hier wählt und eine Frau sprechen will, die den gleichen Namen hat wie das Opfer in einem Fall, bei dem Sie den Vorsitz führen.«
Sie erwiderte nichts darauf. Vor dem Badezimmer gleich bei der Treppe blieb sie unvermittelt stehen, stürzte hinein, ließ sich vor der Toilette auf die Knie sinken und übergab sich erneut.
Kovac hielt ein Handtuch unter den Wasserhahn und reichte es ihr. Sie blieb auf dem Boden sitzen, nahm es wortlos und bedeckte ihr Gesicht damit.
»Ich gehe mal davon aus, dass Ihre Nummer nicht im Telefonbuch steht«, sagte Kovac und ließ sich auf dem Rand der Badewanne nieder.
»Nein, natürlich nicht.«
»Wir müssen Ihr Telefon abhören. Es wird ganz bestimmt nicht bei diesem einen Anruf bleiben.«
»Warum glauben Sie das?«
»Weil der Anruf nach dem Überfall erfolgte. Wenn es derselbe Kerl war, dann ging es ihm um mehr als nur um Ihre Brieftasche.«
Sie sah ihn nicht an, sondern blickte mit ausdruckslosem Gesicht ins Leere.
»Sie sollten sich hinlegen«, sagte Kovac und streckte ihr seine Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu
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