In aller Unschuld Thriller
heraus. Sie sah aus wie eine ausrangierte Schaufensterpuppe, die im Hinterzimmer eines Ladens verstaut und neben vielen anderen überflüssigen Dingen vergessen worden war.
»Danke, Ms. Neal«, sagte Dahl voller Respekt. »Ich bin überzeugt, dass Sie eine sehr nette Frau waren.«
Er strich den Überwurf wieder glatt, ging hinaus und hielt nur noch einmal am Garderobenschrank im Flur inne, um einen braunen Poncho herauszuholen. In der Küche nahm er Handtasche und Autoschlüssel von Christine Neal, dann verließ er das Haus durch die Hintertür.
In der Garage stand der dunkelblaue Volvo. Schickes Auto. Ledersitze und sämtlicher Pipapo. Ein Auto, das in diesem Stadtviertel nicht weiter auffiel. Außerdem hatte sie es sehr sauber gehalten. Es roch nach Zitronen.
Dahl fuhr aus der Garage und schloss mit der Fernbedienung das Tor. Wenn er Glück hatte, würde niemand Christine Neal übers Wochenende besuchen kommen. Aber selbst wenn, wäre sie einfach nicht da. Keine Christine, kein Auto, keine Handtasche. Sie war unterwegs. Einkaufen vielleicht oder im Kino. Wenn sie arbeitete, würde sie frühestens am Montag vermisst werden. Wenn sie nicht arbeitete, könnte es noch länger dauern, bis jemand bemerkte, dass sie eine Weile schon nicht mehr zu sehen war.
Tage, in denen er nach Lust und Laune mit Christines Auto herumfahren konnte.
Er fuhr auf die Straße und machte sich auf den Weg zu seinem nächsten Ziel: seinem Wunschziel – das Haus seiner Retterin, Carey Moore.
22
»Auf der Handtasche der Richterin finden sich keine brauchbaren Fingerabdrücke. Mindestens ein halbes Dutzend Leute hat das Auto angefasst. Bislang haben wir bei keinem der Fingerabdrücke einen Treffer in der Datenbank erzielt«, sagte Tippen.
Er lief am Ende des Konferenztisches auf und ab, groß und dünn, mit einem langen, fast grotesken Gesicht, überall Ecken und Einbuchtungen, zerfurchte Augenbrauen, ein borstiger, von grauen Haaren durchzogener Schnurrbart. Bevor er zum Morddezernat bei der städtischen Polizei wechselte, hatte er jahrelang im Büro des Sheriffs gearbeitet.
Damals hatte er auch das erste Mal mit Kovac und Liska zusammengearbeitet. Man hatte die Kräfte mehrerer Behörden gebündelt, um die sogenannten Krematoriumsmorde aufzuklären – der Mörder hatte sich seine Opfer in erster Linie unter Prostituierten gesucht, er hatte sie gefoltert, umgebracht und anschließend ihre Leichname in einem öffentlichen Park in Brand gesetzt. Das Team hatte gut funktioniert, und sie waren auch noch nach der Aufklärung des Falls öfter mal ein Bier miteinander trinken gegangen.
»Richterin Moore bekommt eine ganze Menge Drohbriefe.«
Elwood Knutson, der auch der damaligen Sonderkommission angehört hatte. Er erinnerte an eine kleinere Version von Balu dem Bären und hatte eine Neigung zu philosophischen Betrachtungen.
»Kaum zu glauben«, sagte Liska sarkastisch.
Kovac blieb stumm.
»Ihre Sekretärin hat sie nach Kategorien geordnet: verrückt, verrückter und unzurechnungsfähig.«
»Konkrete Drohungen?«, fragte Kovac.
»Mehr oder weniger. Alle wirklich beängstigenden Briefe werden an das Büro des Sheriffs weitergeleitet.« Elwood warf Tippen einen Blick zu und sagte: »Es ist eigentlich erstaunlich, dass sie nicht schon vor langer Zeit umgebracht worden ist, wenn man es recht bedenkt.«
»Schau mich nicht so an!«, rief Tippen. »Falls du es nicht bemerkt haben solltest, ich habe das Team gewechselt.«
»Warum hat sich dann dort nicht die Qualität der Arbeit verbessert?«, fragte Liska.
Tippen warf eine mit Schokolade überzogene Kaffeebohne nach ihr. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er eine regelrechte Sucht danach entwickelt, auch wenn er der Letzte unter den Kollegen war, der sich mit Koffein aufputschen musste.
»Ich habe sämtliche Briefe kopieren und herbringen lassen«, fuhr Elwood fort und deutete auf die Aktenordner, die vor ihm aufgestapelt waren. »Eine kleine Gutenachtlektüre, wenn sich jemand dafür interessiert.«
»Wie steht es mit den Leuten, die sie in den Knast geschickt hat?«, fragte Kovac. »Ist einer von denen, die meinen könnten, noch eine Rechnung mit ihr offenzuhaben, kürzlich freigelassen worden?«
»Ich habe mit den Bewährungshelfern von einigen von ihnen gesprochen«, erklärte Liska. »Bislang kommt meiner Meinung nach keiner als Tatverdächtiger für den Überfall in Frage. Trotz aller Bemühungen unserer Strafanstalten scheinen sich einige von ihnen tatsächlich gebessert zu
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