In aller Unschuld Thriller
anderthalbstöckige. Solche mit großen Blumenbeeten, deren Bepflanzung in der zunehmenden Kälte dahingewelkt war, sagten ihm, dass ihre Bewohner, mochten es Einzelpersonen oder Paare sein, eine Menge Freizeit hatten. Nicht mehr ganz jung waren, vielleicht schon in Rente.
Ein kleines Holzhaus, wie man sie häufig in Cape Cod sah, erregte seine Aufmerksamkeit. Blau mit weißen Fensterläden und ein Lattenzaun zum Bürgersteig hin. Ein selbst gemachtes Holzschild hing neben der Haustür. »Hier wohnt Grandma.« Dahl ging um die Ecke und bog gleich noch einmal ab, in die Gasse hinter den Häusern.
Die meisten Gärten waren von hohen Sichtschutzzäunen umgeben, die sie vor den Blicken Vorbeigehender schützten. Der von Grandma bestand aus breiten Zedernholzplanken, die silbergrau verwittert waren. Karl schlüpfte zwischen den Zaun und den des Nachbarn und rüttelte vorsichtig an einzelnen Brettern, während er sich zur Rückseite der kleinen Garage vorarbeitete. Keines war locker. Aber an der Seite des Hauses befand sich ein Fenster, das dank eines großen Fliederbusches von der Straße her nicht einsehbar war.
Dahl hörte, wie in der Garage ein Motor angelassen wurde. Durch den Fliederbusch sah er, wie ein funkelnagelneuer dunkelblauer Volvo über die Einfahrt rollte. Er konnte das Gesicht des Fahrers nicht erkennen. Wahrscheinlich eine Frau, danach zu urteilen, wie langsam der Wagen zurückstieß.
Grandma fuhr also weg. Dahl fragte sich, ob drinnen wohl noch ein Grandpa saß. Er sah durch das Fenster der Garage und schloss aus dem Fehlen von Elektrowerkzeugen, dass in dem Haus wahrscheinlich kein Mann wohnte.
Das Fenster an der Seite des Hauses stand ein Stück offen, um die frische Herbstluft an diesem wunderbaren Morgen hineinzulassen.
Zwischen Garage und Zaun waren mehrere große Blumentöpfe, in denen sich abgestorbene Pflanzen befanden, abgestellt worden. Sie warteten darauf, geleert und für den Winter verstaut zu werden. Dahl rollte den größten Topf über den schmalen Pfad zwischen den Grundstücken, drehte ihn um und stieg hinauf.
Ein paar rasche Schnitte mit dem Steakmesser des Penners und Dahl konnte das Fliegengitter vor dem Fenster weit genug anheben, um hineinzuklettern. Als er drin war, zog er es vorsichtig wieder zurück an seinen Platz.
Er hatte erwartet, dass das Haus mit irgendwelchem Omakram vollgestopft war – Porzellanpudel, altes Geschirr und überladene Sessel mit geblümten Überzügen und Spitzendeckchen. Stattdessen fand er sich in einem Zimmer wieder, wie man sie in irgendwelchen Wohnzeitschriften bewundern konnte. Die Wände waren in einem zarten Graugrün gestrichen, die dunklen Möbel modern und schlicht gehalten.
In der Küche entdeckte Dahl die Lebensgeschichte von Grandma. Der Kühlschrank war bedeckt mit Fotos, auf denen sie und irgendwelche anderen Leute zu sehen waren – Freunde, Verwandte, Enkel. Viele lächelnde, glückliche Gesichter.
Auf dem Tisch lagen ungeöffnete Briefe, die darauf schließen ließen, dass Grandma Christine Neal hieß.
Diese Christine Neal war Ende fünfzig, schlank und sportlich. Sie nahm an Marathonläufen teil. Machte in exotischen Ländern Urlaub. Auf mehreren Fotos war sie ebenso kahl wie er, der Eindringling. Ein Spruchband bei einem der Rennen rief zu Spenden für die Brustkrebs-Selbsthilfegruppe in der Stadt auf.
Dahl öffnete den Kühlschrank und nahm eine Orange heraus. Sie war saftig und erfrischend kalt. Nachdem er sie gegessen hatte, warf er die Schalen in den Abfall, wischte den Griff der Kühlschranktür mit einem Handtuch ab und machte sich auf die Suche nach dem Bad.
Es gab nur unten eines, neben einem Zimmer, das vermutlich das Schlafzimmer von Christine Neal war. Die weißen Fliesen blitzten, und es roch nach Lavendel.
In dem Spiegelschränkchen entdeckte er Zahnseide mit Minzegeschmack, riss ein Stück davon ab und machte sich daran, die Essensreste zwischen seinen Zähnen zu entfernen – von der eben verspeisten Orange und dem Kotelett, das er am Morgen aus dem Abfall gefischt hatte. Dann nahm er die Zahnbürste aus ihrer Halterung, gab ein wenig Zahnpasta darauf und bürstete sich lange und gründlich die Zähne. Danach bürstete er seine Brücke, die er dazu herausgenommen hatte, und steckte sie sich anschließend zurück in den Mund.
Anschließend zog Dahl sich aus und warf die dreckigen Klamotten des Penners in den Korb mit Schmutzwäsche, froh, sie endlich los zu sein. Vorsichtig entfernte er das Klebeband, mit
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