In deinem Schatten
aus seiner Reichweite gezogen, wusste jedoch nicht, wie sie das unauffällig bewerkstelligen sollte.
“Maddie ist meine Mitbewohnerin”, fuhr Tessa munter fort. “Sie tanzt drüben im Al-Medina
und
legt Tarotkarten.” In ihrer Stimme schwang sowohl Freude als auch Stolz über diese beiden Fertigkeiten mit. “Sie ist echt gut.”
“Erinnere mich, dass ich zu dir komme, wenn mir das nächste Mal ein Plattenvertrag angeboten wird.” Seine Stimme war angenehm – rauchig und ein wenig schüchtern –, doch Maddie merkte, dass ihm nicht entgangen war, wie distanziert sie sich ihm gegenüber verhielt.
“Ich würde vorschlagen, du sparst dir dein Geld besser für einen Anwalt”, sagte sie. “Tessa, wir müssen zusehen, dass wir nach Hause kommen. Es ist fast Mitternacht.”
Tessa sah sie erschrocken an. “Unmöglich!”, rief sie schuldbewusst. “Oh, Süße, das tut mir leid …” Sie ließ sich von Maddie die Treppe hinunterschieben. Phil folgte ihnen. Beinahe hätte Maddie ihm gesagt, dass er sich verziehen solle. Doch dann ließ sie es lieber. Es war besser, sie wusste, wo er gerade war. Als sie unten im Dance Loft angelangt waren, funktionierte das Licht einwandfrei.
“Eigentlich logisch”, sagte Phil fröhlich angesichts der hell beleuchteten Korridore. “Wenn die Dayforths auszögen, müssten die Hausbesitzer neue Mieter für die beiden leer stehenden Etagen suchen. Wie es uns im sechsten Stock geht, interessiert die Vermieter allerdings einen feuchten Dreck.”
Maddie schwieg. Während sie und Tessa ihre Taschen holten, plauderte Tessa mit Phil über die langatmige Erklärung, die der Hausmeister Quincy ihr bezüglich der Stromversorgung des Hauses gegeben hatte: “Ich schwöre, der Mann hat zwanzig Minuten gebraucht, um mir zu erzählen, wie er eine Glühbirne gekauft hat! Okay, zuerst hat er mir erklärt, was Elektrizität überhaupt ist, und
dann
hat er von der Glühbirne angefangen …”
“Für so etwas gibt es ein 12-Schritte-Programm. Es heißt ‘Selbsthilfe für anonyme Labertaschen’”, schmunzelte Phil, während er ihnen über die letzte unheimliche Treppe hinunter in die Halle folgte. “Schafft ihr beide es allein zur U-Bahn?”
“Kein Problem”, antwortete Maddie fast barsch und öffnete rasch die Tür. Phil blieb im Haus und winkte ihnen beiden galant nach.
Der nächtliche eisige Nebel war noch dicker geworden. Auf dem Weg zur U-Bahn-Station klapperten die Absätze von Maddies Stiefeln so laut auf dem nassen Asphalt, dass sie sich immer wieder umsah, ob ihnen in der Dunkelheit nicht jemand folgte. “Ist er nicht nur der Ballettpianist, sondern auch der Nachtwächter der Tanzschule?”, fragte sie, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander her gelaufen waren. “Oder schleicht er einfach nur gern im Dunkeln durch alte Gebäude?”
“Ich glaube, er wohnt momentan da.” Tessa zog sich ihre Navy-Jacke fröstelnd enger um die Schultern und sah ihre Freundin besorgt von der Seite an. Der scharfe Ton in Maddies Stimme war ihr nicht entgangen. “Aber erzähl es Mrs. Dayforth nicht, okay? Er hat im letzten Stock einen Raum gemietet, wo er komponiert, und vor ungefähr zwei Wochen hat ihm sein Mitbewohner plötzlich eröffnet, dass seine Freundin einzieht. Phil wurde also – auf ziemlich brutale Art und Weise, finde ich – vor die Tür gesetzt. Ich meine …”, fügte Tessa entschuldigend hinzu, “wenn du mich loswerden wolltest, damit du einen Mann mit nach Hause nehmen kannst, würdest du mir bestimmt mehr als einen Tag Zeit geben, um mir etwas Neues zu suchen, das weiß ich. Scharf auf Sex zu sein ist eine Sache, aber unhöflich und unfair braucht man deshalb nicht zu werden.”
“Süße”, meinte Maddie lächelnd, “nach all meinen bisherigen Erfahrungen mit männlichen Mitbewohnern brauchst du dir diesbezüglich keinerlei Sorgen zu machen, das kann ich dir versprechen.” Sie gingen weiter, wobei sie immer wieder den allgegenwärtigen Mülltonnen am Randstein ausweichen mussten, und guckten hier und da im Vorbeigehen in schmale Lichthöfe, wo in Schneiderläden, Heimwerker-Shops und verrauchten Kellerbars noch Licht brannte. An der Ecke zur Lexington Avenue war ein koreanischer Lebensmittelladen, der die ganze Nacht geöffnet hatte und in dessen Fenster Obst, Gemüse und dampfende Schüsseln mit orientalischem Geflügelsalat und Lasagne wie Edelsteine funkelten. Schließlich – und damit sie nicht mehr an die leidige Sache mit den männlichen Mitbewohnern
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