In deinem Schatten
schließlich fand. Dann horchte sie in die Dunkelheit. Hatte sie eben die Treppe knarren gehört? Den Holzboden?
Tessa, dachte sie.
O Gott, Tessa, hoffentlich ist dir nichts passiert
.
Sie knipste den Schalter an. Weit hinten, ganz am Ende des Korridors, ging eine Lampe an. In der Nähe des Treppenhauses funktionierte kein Licht.
In ihrem Kopf hörte sie immer noch das Flüstern. Sie konnte nicht sagen, woher es kam, denn es schien überall um sie herum zu sein. Teilweise war es gut zu verstehen, teilweise bestand es nur aus Wortfetzen von geradezu geisteskranker Vulgarität.
Er ist da irgendwo. Hinter mir
.
Maddie flüchtete sich zu dem Licht am Ende des Korridors. Dort sah sie, dass ein kleinerer Korridor nach rechts abzweigte.
Als sie mit ihrer Taschenlampe in diesen Gang hineinleuchtete, blitzten mehrere metallene Türklinken auf. Und irgendetwas lag auf dem Boden. Etwas Kleines. Maddie wusste nicht, warum, doch sie erkannte es sofort: Es war eines von Tessas Haarbändern. Suchend sah sie sich nach einem Lichtschalter um, fand keinen, lief den Gang entlang und um die Ecke, wo es nicht weiterging, lief zurück, bog um eine andere Ecke …
Verdammt, dachte Maddie verzweifelt.
Ich habe mich verzählt. Sieht so aus, als gäbe es doch noch ein Stockwerk über diesem hier …
Eine Treppe am Ende des Ganges, die noch schmaler und so schlecht beleuchtet wie der Fluchtweg aus der Hölle war, führte noch weiter hinauf …
Im nächsten Moment bemerkte sie, dass Tessa am Fuß dieser Treppe stand. Sie hatte Maddie den Rücken zugewandt und schaute nach oben.
“Tessa!”
Maddies Mitbewohnerin fuhr erschrocken herum und stützte sich an der Wand ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In den Strumpfhosen und dem Trikot wirkte sie wie ungefähr dreizehn. Ihre zierliche Figur war unter einem schlabbrigen T-Shirt, auf dem ein fast völlig ausgebleichtes Rock-Konzert-Logo prangte, kaum zu sehen. Ihr wunderschönes dunkles Haar war zu einem klassischen Ballerina-Haarknoten hochgesteckt.
“Maddie?” Tessa klang eher erstaunt als ängstlich.
“Alles in Ordnung mit dir?” Maddie ging zu ihr, legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie in das schwache Licht, das vom Hauptkorridor herüberschien. Durch das T-Shirt und das Trikot konnte sie jeden einzelnen von Tessas zarten Rückenwirbeln spüren. Es fühlte sich an, als würde man seine Hand auf eine Perlenkette legen. “Ich war im Al-Medina und dachte, ich schaue vorbei und hole dich ab …”
Nach einer Tür, auf der “Vulgarian Records” stand und hinter der sich vermutlich irgendein weiteres zwielichtiges Plattenstudio verbarg, bogen sie um die Ecke. Tessa sah sich verwundert um, als wüsste sich nicht recht, wo sie war.
Maddie selbst hoffte inständig, dass der Hauptkorridor leer war, wenn sie ihn erreichten. “Ich habe dein Zeug im Ballettsaal gesehen …”
Und dann war da natürlich noch die Treppe, die sie hinuntergehen mussten …
“Danke.” Tessa klang ein wenig zögerlich, zwang sich dann jedoch zu einem Lächeln. “Wie war dein Auftritt? Hast du viel Trinkgeld bekommen?”
“Ganz okay, ja.”
Und ich Idiot habe es unten in meiner Tasche gelassen, damit unser flüsternder Irrer sich bedienen kann …
“Tessa, hör mal, es ist noch jemand im …”
Und plötzlich stand er vor ihnen.
Maddie verschlug es vor Schreck den Atem, und Tessa … Tessa ging auf den großen Schatten zu und sagte: “Na, was war mit dem Licht?”
“Als ich eine meiner diversen Höllenmaschinen zur Zerstörung des Planeten angeworfen habe, war gleichzeitig meine Mikrowelle an, und die Sicherung ist rausgeflogen.” Er trat in den schwachen Lichtkegel der Taschenlampe: braune Augen, ein sympathisches, markantes Gesicht, dunkles, dichtes Haar, das ihm ein wenig unordentlich in die Stirn fiel. Unter einem braun-grünen Wollpullover ragten die Zipfel eines ziemlich ausgewaschenen Jeanshemds hervor. Geflickte und ausgebeulte Jeans komplettierten sein Outfit. “Braucht ihr irgendetwas? Außer eine bessere Taschenlampe?”
“Maddie”, sagte Tessa, “das ist Phil Cooper. Er ist der Ballettpianist und hat ein Studio hier im Haus.”
“Hi.” Maddies Herz klopfte noch dermaßen heftig, dass ihr richtig flau im Magen war. Sie umklammerte das Pfefferspray in ihrer Manteltasche, obwohl ihr gesunder Menschenverstand ihr sagte, dass dieser Mann – falls er nicht bewaffnet war – es nicht mit ihnen beiden auf einmal aufnehmen konnte. Am liebsten hätte sie Tessa
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