In den Faengen der Nacht
Überschrift: »Dunkle und verdrehte Gedanken einer College-Studentin, die verflucht ist«.
Das traf auf das Mädchen, Dark Angel, offensichtlich zu. Ihre Einträge zeigten die typischen Ängste einer durchschnittlichen Studentin … die ganz klar unter Wahnvorstellungen litt und eine mehrjährige Therapie in einer Gummizelle brauchte.
3. Juni 2006, 6:45 Uhr
Es soll mich bitte jemand erschießen. Bitte. Ich kann den BITTE -Teil gar nicht genug betonen. Gerade sitze ich noch hier und versuche, für meine morgige Prüfung zu lernen. Merke das Wort: »versuche«. Ich bin also vertieft in die Komplexität der babylonischen Mathematik, was nicht gerade fesselnd ist, um das mal freundlich zu formulieren, als plötzlich mein Handy klingelt und mich zu Tode erschreckt, denn das Haus ist noch stiller als ein Grab – und glaubt mir, ich bin in genügend Gräbern und Krypten gewesen, um das beurteilen zu können.
Zuerst dachte ich dummerweise, es wäre mein Vater, der mich mal wieder anmachen will, bis ich genauer auf die Nummer sah. Und, nein, er war es nicht. Wer meinen Blog schon mal gelesen hat, weiß, dass es mein Boss ist – wer sonst würde zu einer so unchristlichen Stunde anrufen und der Ansicht sein, dass ich sonst kein Leben habe, außer bei jeder seiner Launen und Bedürfnisse gleich zu springen? Ehrlich, hört auf meinen Rat und arbeitet niemals für einen Unsterblichen. Sie haben einfach keinen Respekt vor uns mit unserer endlichen Lebenszeit.
Halb sechs morgens ruft er also an und erzählt mir, dass er gerade einen Haufen Untoter umgebracht hat (in Ordnung, Vampire, aber dieses Wort gebrauche ich wirklich nicht gerne, denn es zieht alle Arten von Bekloppten an, die wissen wollen, wie sie auch Vampire werden können, wo sie die finden können, die ich kenne – das würde euch in den sicheren Tod führen, sonst nichts –, aber zurück zur Sache) und dass ich vorbeikommen und ihn abholen muss, denn es ist kurz vor Anbruch der Dämmerung, und er schafft es nicht mehr bis nach Hause, sonst würde ihn die Sonne in einen Grilltoast verwandeln. Das ist echt nicht das Richtige, um mich zu motivieren, denn ein Grilltoast = eine glückliche Dark Angel.
Hier muss ich motzen: Wäre er ein echter Gestaltwandler, dann müsste ich ihn nicht abholen. Er würde ohne Hilfe nach Hause kommen, er könnte sich einfach ins Haus teleportieren, aber damals, als er den Handel abgeschlossen hat, ein Unsterblicher zu werden, wurde ihm diese Fähigkeit abgenommen, ebenso wie die, die ihm erlaubt, durch die Zeit zu reisen, und auch die Fähigkeit, als Mensch bei Tag unterwegs zu sein. Und warum das alles? Aus einem einzigen Grund. Um mir das Leben zur Hölle und mich zur Sklavin zu machen, bloß deshalb.
Ach, und ich muss ihm Kleider mitbringen, denn sehr wahrscheinlich wird er bei Pike’s Market als Katze auftauchen, das ist die einzige Gestalt, in der er sich bei Tageslicht zeigen kann und kein knuspriges Vieh wird (jawohl). Wenn er sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, ist er nackt und braucht Kleidung – ja, für die mit der dreckigen Fantasie: Theoretisch ist er ein nackter Gott, aber weil ich ihn schon mein ganzes Leben lang kenne, ist es, als ob man seinen Bruder nackt sieht, und da kann man ja auch nicht »hey« sagen, oder?
Gut, es kotzt mich an, aber ich mache mich auf, denn er bezahlt mich dafür, und wenn ich nicht komme, dann verrät er mich wieder, und das wird mir jede Menge Ärger einbringen. Und das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Und was finde ich, nachdem ich meinen Hintern rübergeschoben habe, um ihm den Arsch zu retten?
Jawohl, richtig geraten. Da ist keiner außer ein paar Obdachlosen, die denken, dass ich den Verstand verloren habe, weil ich meine »Katze« suche, während ich Männerkleidung unterm Arm hab – die, wie ich langsam begreife, gar nichts nützt, denn er kann sich ja erst wieder in einen Menschen verwandeln, nachdem ich ihn nach Hause gebracht habe. Der verdammte Mistkerl und seine Streiche. Die Pocken wünsch ich ihm an den Hals. Oder, besser noch, ich hoffe, er fängt sich Flöhe (ich würde ihm auch Zecken wünschen, aber dann könnte ich mich mit Borreliose anstecken). Also lieber Flöhe. Jede Menge Flöhe!
Ich bin sicher, der idiotische Katzenmann hat ein Betthäschen gefunden, mit dem er’s treiben kann und das er den ganzen Tag poppen wird. Verdammt, hätte er nicht kurz anrufen und mir Bescheid sagen können? Nein. Also sitze ich jetzt hier, schütte
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