In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche
liefen alle durch den Heizungsraum, hinaus in den kalten, feuchten Gang. Das Blut pochte in meinem Kopf. Ich rannte voraus, hinter mir die jungen Frauen. Ich hörte sie schwer und aufgeregt atmen, doch sie unterdrückten ihre Furcht. Vermutlich hatten sie weniger Angst als ich. Dennoch teilten wir alle das kollektive Gefühl, dass ein Drache nur wenige Meter hinter uns durch den Korridor jagte. Haben Sie jemals seinen heißen Atem im Nacken gespürt? Keine Achterbahn und kein Horrorfilm kann sich damit messen.
Manzio hielt an jeder Tür an und verschloss sie hinter sich. Dann brach er den Schlüssel im Schloss ab. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe tanzte stets einige Meter voraus und führte uns an. Schließlich stießen wir die letzte Tür auf und standen im Souterrain unseres Hauses. Ich hatte endgültig die Schnauze voll von unterirdischen Abenteuern.
Der ursprüngliche Plan, zu sehen, ob die Luft rein sei, stand offensichtlich nicht mehr zur Debatte. Manzio und Talitha stürzten sich hinaus in den Hof. Wir folgen ihnen.
Die Thailänderinnen waren erstaunlich leise und beherrscht. Sie trugen nur wenig mehr als schmutzige Nachthemden. Doch es herrschte keine Panik, es gab kein Geschrei. Ich sah im Licht der Straßenlaternen die große Zeichnung der Kraniche neben der Eingangstür. Was für ein widersinniger Ort dieses Haus doch war!
Die befreite Kriegerin marschierte zielstrebig über den Hof und zielte mit ihrem Maschinengewehr abwechselnd in alle möglichen Ecken der umgebenden Hausfassaden.
Manzio holte uns auf. Ich zitterte am ganzen Körper, aber ich weiß nicht, ob es Aufregung oder Kälte war. Vermutlich beides. Der kalte Wind wand sich um einen schweißgebadeten Körper.
»Was wird aus meiner Wohnung? Meinen Sachen?« zischte ich panisch. »Was wird aus den Mädchen?«
Doch Manzio antwortete nicht. Er eilte zur Straße und öffnete dort einen Wagen. Seine Hände tauchten in die Dunkelheit hinter den Sitzen des Autos, und als er wieder den Gehsteig betrat, sah ich zwei weitere Schusswaffen.
»Der Schlüssel steckt. Ich hoffe, du kannst fahren. Ich verschaffe dir Zeit. Los!«
Ich blickte ihn ungläubig an.
»Dein Manzio ist tot!« schrie er über die Schulter. »Los!«
Plötzlich erklang der dumpfe Knall eines Pistolenschusses. Neben mir zersprang das Fenster eines BMWs. Die Scheibe verfärbte sich milchig und bröckelte in tausend kleine Scherben auf den Fahrersitz. Der pulsierende Alarm heulte auf.
Eine Sekunde später bellte im Stakkato das Maschinengewehr der Kriegerin los.
Auch Manzio wirbelte in die Schussrichtung und feuerte in kürzesten Abständen eine Salve aus vier oder fünf Kugeln ab.
Wie in einem Traum bewegte ich mich auf den Minibus zu und riss die Seitentür auf. Mehr im Hintergrund meiner sich überschlagenden Gedanken schälte sich die Erkenntnis heraus, dass das dumpfe Geräusch, das hinter mir auf dem Steinpflaster ertönte, von dem toten Körper eines Menschen verursacht wurde, der aus großer Höhe gefallen war. Doch ich blickte nicht hin. Ich begriff, dass ich den Mädchen nun irgendwie auftragen musste, in das Auto zu steigen. Doch die vier Thailänderinnen waren wesentlich gefasster als ich. Noch während ich mich zu ihnen drehte, schlüpften sie hinter meinem Rücken hindurch und ließen sich auf die Sitzbänke des Minibusses fallen. Nur zehn Schritte entfernt stand Manzio und ballerte durch die Gegend. Während ich mich hinter das Lenkrad zwang, sah ich die Frau, die der Hausmeister Talitha nannte. Sie hatte sich auf ihr linkes Knie gesetzt, um einen besseren Halt zu haben, und feuerte Salven in die Nacht. Ich glaubte nicht, dass seit 1945 etwas derartiges in München geschah. Könnte jemand den Film anhalten? Ich möchte mich mal übergeben. Panisch drehte ich an dem Zündschlüssel. Ich hatte mal einen alten Ford Escort. Doch das Ding hier war deutlich größer. Es kam mir vor wie ein Lastwagen.
»Was meint er mit tot?« murmelte ich abwesend, während ich am dem großen Lenkrad drehte.
Als ich mit quietschenden Reifen am Ende der Gasse abbog, um auf die Landsberger Straße zu fahren, hörten sich die Schüsse hinter mir bereits an, wie die Artillerie in einem Kriegsfilm. Und ein wenig wie Silvesterböller.
Polizei, dachte ich. Ich muss die nächste Polizeistation finden. Ich sollte mit denen gar nicht reden. Ich schicke nur die Mädchen hoch zu ihnen. War da nicht eine Polizeistation in der Bayerstraße, direkt neben dem Hauptbahnhof? Als ich das Zentrum
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