In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche
etwas zu Mahr. Die beiden befanden sich direkt unter mir, nicht mehr als vier Meter tiefer. Ich konnte trotz des Flüsterns das Wort »Kameraausfall« hören.
»Wir sind hier etwas in Eile, darum verzeihen Sie, wenn ich mich Ihnen nicht mehr widmen kann als nötig«, erklärte Mahr dem Erzbischof, der ihn ausdruckslos ansah. »Wo sind wir stehengeblieben?«
»Haben Sie denn nicht irgendwelche Chemikalien oder Medikamente, die das ein wenig zivilisierter gestalten?« wandte der Erzbischof mit der gewohnt gedämpften Stimme ein und deutete etwas verlegen auf die halbnackte Frau.
»Glauben Sie mir, das ist bei diesen Leuten vergeblich. Wir hatten schon bei dem Zwischenfall 1992 alles das versucht. Skopolamin und Natrium-Thiopental. Das Objekt lachte uns nur aus und zitierte John Milton und William Blake. Gestern haben wir diese Schlampe mit Alkohol abgefüllt, nur um zu sehen, was passiert. Sie kotzte einem der Soldaten über das Hemd und lachte mindestens zehn Minuten darüber. Sie lachte sogar noch, als der Soldat mit dem Messer seine Empfehlung auf ihren Bauch ritzte.«
»Was haben Sie nun vor?« wechselte der geistliche Würdenträger mit Ekel in der Stimme das Thema. »Führt das hier zu einem brauchbaren Ergebnis?«
»Wir üben uns in Geduld und Demut«, erwiderte Mahr kryptisch. »Früher oder später wird sie reden. Sie wird uns mitteilen, wo sich Paul Lichtmann aufhält. Und dort ist auch das Biofakt Delta . Wir haben uns nun mit ihrem Oberkörper befasst und werden ab heute unterhalb der Gürtellinie arbeiten. Früher oder später treffen wir den Nerv, der jeden zum Sprechen bringt.«
Der Silberhaarige wandte sich um und griff nach der Türklinke. Leise schlich ich mich zurück in den Gang und beobachtete den Geistlichen durch das Fenster, während er den Verhörraum verließ. Er hielt sich kurz ein weißes Taschentuch vor die schmalen, blassen Lippen.
Mahr kam nach und stand nun schweigend neben ihm. Sie beobachteten das verschlafene Treiben im Hauptquartier. Mahr wandte sich um und trat an einen der zahlreichen Tische im Saal. Dort lagen Waffen. Zwei automatische Pistolen. Ein kurzes, kompaktes Maschinengewehr. Ein langer, wuchtiger Dolch.
»Das hier haben wir ihr abgenommen«, erklärte Mahr. »Zwei GLOCK 34. Wie geschaffen für Frauenhände.« Er nahm eine der Pistolen und ließ das Magazin herausspringen, lediglich mit dem Ziel, es effektvoll wieder einrasten zu lassen. »9x19mm. Je siebzehn Schuss. Kunststoff, minimale Stahleinlagen. Manche Handdetektoren reagieren darauf gar nicht. Inmitten dieses friedfertigen Landes gibt es Leute, die mit so etwas durch die Stadt laufen. Dabei ist München nicht gerade Harlem oder Kandahar.«
Der Erzbischof musterte mit einem gewissen Unbehagen das ausgebreitete Arsenal.
»Diese Leute sind eine Bedrohung unserer Werte, Eure Exzellenz. Für all das, für das Sie und ich einstehen. Sicherheit, Stabilität, Tradition. Das sind Terroristen, Häretiker, Okkultisten und Mörder. Ich würde jeden Tag zehn solcher Frauen foltern, wenn ich die Garantie hätte, dass es den Frieden und das Seelenheil aller Bürger und Christen dieses Landes sichert. Für diese Zivilisation.«
Der Geistliche schwieg. Die Methoden schienen ihm nicht zu behagen. Doch er wirkte wie jemand, der keine alternativen Pläne besitzt.
»Die Seuche der Lux Aeterna muss ausgemerzt werden, Exzellenz!« zischte Mahr auf dem Gipfel seiner Agitation. »Ein für allemal!«
»Sie wissen, das alles ist nicht der Grund, weshalb ich Sie unterstütze.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Mahr mit gedämpfter Stimme. »Sie sind auf unserer Seite, weil Sie wissen, dass wir unsere Auftrage direkt von den Himmlischen Boten erhalten.«
»Wann werde ich einem von ihnen begegnen?«
»Sie werden also mit dem Heiligen Vater sprechen?«
»Das ist nicht so einfach. Seine Heiligkeit ist, wie Sie wissen, schwer krank. Und...« Er zögerte einen Augenblick, als würde er die richtigen Worte wählen. »Die Kirche hat seit Jahrhunderten nicht mehr an solchen Unternehmungen partizipiert!«
»Die Frau da drin«, erwiderte Mahr und zeigte mit dem Finger auf die Tür zum Verhörraum, »ist nicht die Vertreterin einer neuen Befreiungstheologie. Wenn wir nichts unternehmen, ist es das Ende des Abendlandes, wie wir es kennen.«
»Vielleicht wird der nächste Papst für Ihre Vorschläge empfänglicher«, sagte der Silberhaarige. »Sie müssen sich gedulden. Aber erwarten Sie nicht, dass irgendwer die Inquisition wieder
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