In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
Tag und pausierte auch mehrere Tage, doch das Humpeln wurde trotzdem immer schlimmer. Meine Kollegen sahen mich besorgt an und erkundigten sich nach meinem Wohlbefinden, als ich mich im Großraumbüro vorsichtig an den Trennwänden zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen festhielt und mich im Treppenhaus ans Geländer klammerte.
»Ist alles in Ordnung? Du wirst doch nicht an dem Lauf teilnehmen, oder?«
»Ach!«, antwortete ich und tat ihre Besorgnis mit einem Lachen ab. »Das Witzige ist, dass ich zwar kaum gehen kann, laufen aber schon. Ist doch seltsam!«
Vier Tage vor dem Rennen wollte ich vier Meilen laufen, schaffte aber keine 100 Meter. Mein rechtes Bein streikte. Ich wusste, dass das Ding für mich gelaufen war. Es sah ganz danach aus, als stünde demnächst eine Knieoperation an. Vielleicht würde ich eine Gelenkprothese bekommen.
Das Programm, an das ich mich gehalten hatte, war ein herkömmlicher periodisierter Trainingsplan nach Arthur Lydiard, einem mittlerweile verstorbenen neuseeländischen Trainer, dessen Ansatz die Grundlage so ziemlich aller Laufprogramme bildet, die zurzeit weltweit im Einsatz sind. Diese Methode sieht zunächst den Aufbau der aeroben Kapazität durch die Bewältigung eines vorgegebenen Laufpensums vor, das sich über zwölf Wochen oder länger erstreckt. Darauf folgt eine Phase des Berg- oder Krafttrainings, an die sich eine Tempophase auf der Aschenbahn anschließt und schließlich eine Rennphase. Meine Version begann mit vergleichsweise kurzen Umfängen, die allmählich auf ein Wochenpensum von 50 Meilen anstiegen und durch schnellere Läufe und Intervalleinheiten ergänzt wurden. Zwei- bis dreimal in der Woche absolvierte ich auch ein Workout zur Stärkung der Rumpfmuskulatur, bei dem ich Unterarmstütze und Übungen mit dem Gymnastikball ausführte. Ich hatte bei LA Fitness außerdem an einer Beinstreckmaschine trainiert, um mein rechtes Knie wieder in Schuss zu bringen. Darüber hinaus hatte ich Dehnübungen und Sit-ups gemacht. Und nun, nach neun Monaten konstanten, regelmäßigen Trainings, war ich nicht einmal in der Lage, auf einem ebenen Parkplatz 100 Meter weit zu laufen.
Ich wusste, dass Lydiards Ansatz funktionierte. 1991 hatte ich es mit dieser Methode schon einmal geschafft, einen Marathon in einem Tempo von 6:04 Minuten pro Meile zu bewältigen und nach 2:38 Stunden ins Ziel einzulaufen. Ganz zu schweigen davon, dass in den letzten 50 Jahren so ziemlich jeder Langstreckenläufer von Rang und Namen eine Abwandlung des Lydiard’schen Ansatzes (oder den Ansatz selbst) erfolgreich angewandt hatte. Diese Trainingsform ist ohne Frage die erfolgreichste Trainingsmethode bei Langstreckenläufern in der jüngeren Vergangenheit.
Aber was in den 1990ern für mich gut funktioniert hatte, war plötzlich unbrauchbar geworden. Mein Bewegungsapparat ließ eine Ausführung des Programms schlichtweg nicht mehr zu.
»Das Leben ist kurz. Das Leben ist hart«, sagt Bruce Denton, eine Romanfigur in Cassidys Lauf von John L. Parker jr. In der Geschichte ist Denton ein ehemaliger Olympiasieger über die Fünf-Kilometer-Distanz, der sich seine Goldmedaille durch ein rigoroses, intensives Training erarbeitet hatte, das auf nichts Rücksicht nahm, einschließlich des unvermeidlichen körperlichen Zusammenbruches, der gemeinhin auf permanentes Übertraining folgt. »Laut Denton ging es darum«, berichtet der Erzähler, »sein Ding knallhart durchzuziehen, dementsprechend vertrat er die Auffassung, man müsse all die kleinen Stolpersteine ignorieren, die das Leben einem in den Weg legt; alles von Todesfällen in der Familie bis hin zu Darmkrebs.« Denton beginnt als Trainer zu arbeiten, nachdem er seine Achillessehne durch das viele Laufen dauerhaft ruiniert hat. In dem Roman Again to Carthage (»Wieder nach Carthago«), ebenfalls von Parker, ist dieselbe Figur schließlich nicht mehr in der Lage zu laufen und hat sich darauf verlegt, Mountainbike zu fahren.
Das ist ein Schicksal, das viele disziplinierte Langstreckenläufer ereilt, vor allem jene, die ihren Sport über viele Jahre hinweg praktizieren und die irgendwann einmal Verletzungen am Bewegungsapparat erleiden. Verschleißerscheinungen sind praktisch unvermeidlich.
Ich hatte auch Born to Run gelesen, Christopher McDougalls Bericht über die Laufkultur der Tarahumara-Indianer, und fand es überaus interessant. McDougall behauptet, dass die Entwicklung des modernen Laufschuhs mit hoher Fersensprengung und verschiedenen
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