In der Brandung
verstanden, was sie meinte. »Was redest du denn da? Natürlich hat er nichts damit zu tun. Darüber haben wir bereits gesprochen. In der Schule wurde über die Sache geredet, und er hat das mitbekommen, wie die anderen auch. Vielleicht auf den Toiletten, vielleicht hat sich irgendjemand damit gebrüstet, oder eines der Mädchen hat sich jemandem anvertraut.«
Und dann fügte er hinzu: »Wer weiß, vielleicht hat sich ja Ginevra selbst jemandem anvertraut. Das spielt aber auch gar keine Rolle mehr. Das Wichtigste ist, dass alles … überstanden ist. Sagen wir so.«
»Aber warum hat er die Geschichte mit dem Traum erzählt, wenn er doch nichts zu verbergen hatte?«
»Vielleicht hat er ja tatsächlich geträumt, dass das Mädchen ihn um Hilfe gebeten hat. Mit Hilfe des Traums hat sein Unterbewusstsein ihm signalisiert, dass er etwas tun musste. Warum fragst du den Doktor nicht, was er darüber denkt?«
Sie sah ihm lange in die Augen. »Das habe ich getan. Ich habe ihn angerufen, bevor du kamst«, sagte sie schließlich.
»Und was hat er gesagt?«
»Dasselbe wie du.«
Roberto versuchte, unbeeindruckt zu wirken, aber es gelang ihm nicht.
»Wie hast du den Ort gefunden? Wie hast du es fertiggebracht, genau in dem Moment dort zu sein?«
»Ach, das war teils Erfahrung, teils Glück.«
»Glück? Unsinn, Glück gibt es nicht, und du bist wirklich ein seltsamer Mensch, mein lieber Carabiniere. Es gibt eine Menge Dinge, die du mir erzählen solltest.«
Da irrst du dich aber, Glück gibt es sehr wohl, dachte Roberto. Und auch Pech, wo wir schon dabei sind.
In dem Moment kam Giacomo nach Hause. Roberto stand auf und gab ihm die Hand. Emma sah die beiden an, sagte, sie gehe duschen, und ließ sie allein.
»Du weißt, was passiert ist, nicht wahr?«
Der Junge nickte und sah Roberto dabei direkt in die Augen, genau so, wie seine Mutter es vor ein paar Minuten getan hatte.
»Jemand kümmert sich um sie. Sicherlich wird sie die Schule wechseln. Er wird einige Zeit dauern, bis sie darüber hinweg ist.«
In Wirklichkeit wusste Roberto nicht, ob das Mädchen je darüber hinwegkommen würde. Das wusste man nie in solchen Fällen. Er fand jedoch, dass Giacomo ein Recht darauf hatte, solche Worte zu hören.
»Du hast sie gerettet«, fügte er dann hinzu.
Giacomo sah ihn weiter an, und Roberto bemerkte die unglaubliche Traurigkeit dieser Augen, die so sehr denen seiner Mutter glichen.
»Ich bin sehr traurig«, sagte Giacomo.
»Warum?«
»Weil ich sie nie mehr wiedersehen werde.«
Roberto zwang sich zu schlucken. Dann, ohne zu merken, was er tat, ging er zu Giacomo und umarmte ihn schnell.
»Vielleicht sieht man sich mal wieder«, sagte er nach einer Weile, nachdem er ihn losgelassen hatte.
»Das wäre schön«, sagte der Junge bloß. Dann stand er auf und ging fort, während die letzten Worte noch in der Luft hingen und Roberto allein in der Küche saß, in der hereinbrechenden Dunkelheit.
Giacomo
Mindestens zwei Stunden lang hörte ich die Compilation, die ich für Ginevra gemacht hatte, und die ich ihr nun nie würde geben können. Ich hörte sie immer wieder von vorn, und es kam mir vor, als enthielten alle Worte und Töne dieser Songs eine besondere Botschaft, die nur für mich bestimmt war.
Es ist merkwürdig, wie eine Sache – Musik hören – einem zugleich so gut gefallen und so wehtun kann.
Seit dem letzten Mal, als ich in dieses Tagebuch geschrieben habe, sind nur ein paar Tage vergangen, aber ich habe das Gefühl, als seien es Jahre.
Auch nachdem ich mich dazu entschieden hatte, mit meiner Mutter zu reden, ist es mir nicht leichtgefallen, aus verschiedenen Gründen. Unter anderem war ich mir so gut wie sicher, dass sie mich nicht ernst nehmen würde.
Doch es kam anders. Sie hörte mir zu – hörte wirklich zu, nicht mit dieser unerträglich herablassenden Haltung, die Erwachsene manchmal haben –, und sie behandelte mich überhaupt nicht wie ein Kind.
Das war eine Überraschung, und ich war sprachlos: Als ich sie fragte, ob ich mit einem Polizisten sprechen könnte, machte sie keine Einwände und sagte, sie würde mir einen Freund vorstellen, der Carabiniere war. Ich wunderte mich, dass sie mit einem Carabiniere befreundet ist, aber ich stimmte natürlich zu, und am nächsten Tag brachte sie ihn mit nach Hause.
Er war nicht so, wie ich mir einen Carabiniere vorgestellt hatte. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber dieser Mann war mir sofort sympathisch. Es war jemand, den man sich als Freund
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