In der Brandung
und redet nicht«, sagte er, als er aus dem Schlafzimmer in den Flur ging, wo Ginevra stand wie eine unglückliche kleine Vogelscheuche, die überhaupt nicht hierhergehörte. Roberto führte sie in die Küche, bat sie, dort auf ihn zu warten, und verschloss die Wohnungstür mit den Schlüsseln, die er dem Anführer abgenommen hatte. Für den Fall, dass einer der Jungen versuchen sollte abzuhauen.
Er warf einen Blick auf die Videos auf dem Handy, merkte, dass ihm dabei übel wurde, und dachte sich, dass er sich das ersparen konnte.
Er ließ noch ein paar Minuten verstreichen, legte sich zurecht, was er sagen konnte, und rief dann Carella an.
»Roberto. Das ist aber eine schöne Überraschung, endlich meldest du dich mal. Wie geht’s denn so?«, sagte er mit dem liebevollen, aber zugleich etwas falschen Ton dessen, der mit einem kranken Freund spricht und ihn behutsam und freundlich behandeln will.
»Mir geht’s gut, danke. Bist du im Dienst?«
»Klar, warum?«
»Dann müsstest du zwei Streifenwagen und ein paar Leute nehmen und schnell zu mir kommen. Ich habe da eine kleine Schweinerei entdeckt.«
Am anderen Ende der Leitung gab es eine Pause. Roberto ließ Carella Zeit, sich an die Idee zu gewöhnen, dass dies ein dienstliches Telefonat war und dass der Mann, der ihn angerufen hatte, vielleicht wieder der Alte war.
»Gibst du mir noch ein paar Details?«
»Gruppenvergewaltigung, Prostitution von Minderjährigen, Freiheitsberaubung. Eine hässliche Geschichte unter Jugendlichen. Bring auch eine Kollegin mit, die sich um das Opfer kümmern kann.«
»Wie bist du an die Sache gekommen?«
»Darf ich dir das nachher persönlich erzählen? Es wäre besser, wenn ihr jetzt hier die Kontrolle übernehmt. Kommt, so schnell es geht.«
Wieder konnte Roberto die Überlegungen des Kollegen nachvollziehen und die vielen Fragen, die dieser sich jetzt stellte. Er wartete ab. Am Ende meinte Carella, es gehe in Ordnung, er müsse nur noch seine Leute zusammenrufen und komme dann sofort.
Seine Stimme klang jetzt anders.
30
Er versuchte, mit dem Mädchen zu sprechen, doch sie hatte nur eines im Sinn.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich, ich lasse dich gleich nach Hause bringen.«
»Nein, danke, ich kann allein gehen.«
Dieses Nein, danke drückte sein Herz zusammen. Roberto musste sich Mühe geben, seine Rührung zu unterdrücken, und auch seine ganzen Fragen – was geschehen war, wie es angefangen hatte und weshalb. Diese Fragen zu stellen war die Aufgabe von jemand anderem.
»Gut, dann sehen wir einmal, was wir tun können, bitte hab noch etwas Geduld.«
Nach einer Pause fügte er hinzu: »Du kannst bald nach Hause gehen, auch allein, wenn dir das lieber ist«, log Roberto und schämte sich deshalb.
»Aber ich muss jetzt sofort gehen. Wenn ich zu spät komme, machen meine Eltern sich Sorgen.«
»Wir benachrichtigen deine Eltern, du kannst beruhigt sein.«
Aber sie war nicht beruhigt. Überhaupt nicht, denn nach und nach wurde ihr die Situation bewusst.
»Ihr werdet ihnen doch nicht …« Sie fand keine Worte. »Bitte, lassen Sie mich nach Hause gehen.«
Roberto hätte sie am liebsten umarmt, ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen solle, dass ihre Eltern Verständnis haben und ihr helfen würden und dass die Welt nicht nur von solchen Typen wie diesen drei bevölkert war oder diesen beiden oder all denen – wer wusste schon, wie viele es waren –, die sich an ihrem Körper zu schaffen gemacht hatten.
Nur, dass er sie natürlich nicht umarmen konnte und auch nicht wagte, ihr zu versichern, von wem die Welt bevölkert war und was ihre Eltern und alle anderen verstehen würden und was nicht.
»Sei ganz ruhig, es wird keine Probleme geben mit deinen Eltern. Bald gehst du nach Hause, und dann ist alles vorbei.«
Da kam Gott sei Dank auch schon Carella mit vier Carabinieri, drei Männer und eine Frau. Sie waren wirklich schnell gewesen, aber Roberto hatte trotzdem das Gefühl, als sei unendlich viel Zeit vergangen. Bis auf Carella waren alle jung und hatten etwas in ihrer Art, sich zu bewegen, sich zu verhalten, den Raum auszufüllen, das Roberto das deutliche Gefühl vermittelte, einer anderen Epoche anzugehören.
Von diesem Moment an ging alles viel schneller.
Roberto erklärte, was passiert war. Er sagte beinahe die ganze Wahrheit, blieb allerdings vage, was die Quelle seiner Informationen anging. Er sprach von einer Person aus der Schule, über die er keine genauen Angaben machte. Seine
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