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In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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gelegt. In der Verräterbucht sah Mr. Osbourne einen Mann einen Spiegel kaufen und auf das Grab seines Sohnes legen. Und der Abscheu gegen die Entweihung der Grabstätten, die bei der Anlage neuer Wege gedankenlos zerstört wurden, ist einer der Hauptgründe für den Haß der Eingeborenen gegen die Franzosen.
    Der Marquesaner blickt mit Trauer dem herannahenden Aussterben seines Volkes entgegen. Der Gedankean den Tod sitzt mit ihm zu Tisch und steht mit ihm auf vom Nachtlager, er lebt und atmet im Schatten der Sterblichkeit, furchtbar zu ertragen, und wird von der Vorstellung so niedergedrückt, daß er das Ende wie eine Erlösung betrachtet. Er versucht nicht einmal, eine Enttäuschung zu überwinden; bei einer Beleidigung, beim Abbruch seiner flüchtigen und freien Liebesbeziehungen sucht er sofort Zuflucht im Grabe. Erhängen ist augenblicklich Sitte. Ich habe von drei Leuten gehört, die sich in der ersten Hälfte des Jahres 1888 an der westlichen Grenze vor Hiva-oa erhängten, aber obwohl das die gebräuchliche Form des Selbstmordes in anderen Teilen der Südsee ist, glaube ich nicht, daß sie sich auf den Marquesas erhält. Marquesanischem Empfinden näher steht die alte Art des Vergiftens mit der Frucht der Ewa, die dem Eingeborenen einen grausamen, aber mit vollem Bewußtsein empfundenen Tod spendet und ihm Zeit gibt für die kleinen Besorgungen der letzten Stunde, denen er so große Bedeutung beimißt. Der Sarg kann bereitgestellt, die Schweine können getötet werden und die Klageschreie bereits das Haus durchtönen; und erst dann, nicht vorher, ist sich der Marquesaner der Vollkommenheit bewußt, sein Leben ist ganz abgeschlossen, sein Gewand wie das Cäsars geordnet zum letzten Gang. Preise niemand vor seinem Tode glücklich, sagten die Alten; beneide niemand, bevor du seine Totenklage hörst, könnte die marquesanische Formel lauten. Der Sarg findet ganz besonderes Interesse, obwohl er erst seit einiger Zeit eingeführt ist. Für den erwachsenen Marquesaner bedeutet er ebensoviel wie eine Taschenuhr für den europäischen Schulknaben. Zehn Jahre lang bestürmte KöniginVaekehu ihren Rat, bis man ihr neulich willfahrte und ihr einen Sarg schenkte. Jetzt hat die liebe Seele Ruhe. Man erzählte mir eine sonderbare Geschichte von dieser Liebhaberei. Die Polynesier leiden mehr unter der Krankheit des Willens als des Körpers. Man sagte mir, die Tahitier hätten ein Wort dafür, erimatua , aber ich finde es nicht in meinem Wörterbuch. Ein Gendarm, M. Nouveau, sah Menschen dieser unheimlichen Krankheit anheimfallen, jagte sie aus ihren Behausungen, zwang sie zum Straßenbau, und in zwei Tagen waren sie geheilt. Aber ein anderes Heilmittel ist origineller: ein Marquesaner, der an Mutlosigkeit hinsiechte, oder besser gesagt an Müdigkeit, lebte beim bloßen Anblick der ersehnten Ruhestätte, seines Sarges, auf, erholte sich, schüttelte die Faust des Todes ab und widmete sich noch jahrelang seiner Beschäftigung, zum Beispiel dem Schnitzen von Tikis (Götzenbildern) oder dem Flechten von Bärten alter Männer. Man mag aus alledem ersehen, wie leichtherzig sie dem natürlichen Tode entgegenblicken. Ich hörte ein Beispiel, furchtbar und erstaunlich. Zur Zeit der Blattern in Hapaa wurde ein alter Mann von der Krankheit ergriffen, er rechnete nicht mit der Genesung, ließ sein Grab graben am Wegrande und lebte beinahe vierzehn Tage darin, aß, trank und rauchte mit den Vorübergehenden und sprach meistens von seinem Ende, unbesorgt um sich und die Freunde, die er ansteckte.
    Diese Neigung zum Selbstmord und die lose Verbindung mit dem Leben ist nicht nur dem Marquesaner eigentümlich. Seltsam ist die allgemein verbreitete Entmutigung und der Glaube an das Aussterben des Volkes. Vergnügungen werden vernachlässigt, der Tanzschläft ein, die Lieder werden vergessen. Es ist wahr, daß manche und sogar viele vom Tode gezeichnet sind, aber viele würden überleben, wenn sie Lust hätten, sich zu erhalten und aufzurütteln. Beim letzten Fest des Sturmes auf die Bastille vergoß Stanislao Moanatini Tränen, da er die seelenlosen Vorführungen der Tänzer sah. Als die Leute in Anaho uns Lieder vorsangen, entschuldigten sie sich wegen der geringen Auswahl. Es seien nur junge Leute anwesend, sagten sie, und die Alten allein wüßten die Gesänge. Die ganze marquesanische Poesie und Musik ließ man aussterben, weil es einer einzigen Generation an Lebensmut gebrach. Die volle Bedeutung dieser Zustände wird dem klar, der

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