In der Südsee
andere polynesische Stämme kennt und weiß, daß der Samoaner bei jedem Anlaß ein neues Lied erfindet oder gehört hat, wie zum Beispiel auf Penrhyn Scharen kleiner lebhafter Mädchen von acht bis zwölf Jahren ihren Singsang ununterbrochen stundenlang fortsetzen und ein Lied dem andern ohne Pause folgen lassen. Gleichzeitig stellt der Marquesaner, der nie fleißig war, jetzt vollständig die Produktion ein. Der Export der Inselgruppe verringert sich unverhältnismäßig, auch wenn man die Sterbeziffern in Betracht zieht. »Die Koralle vermehrt sich, die Palme wächst, aber der Mensch geht von dannen«, sagt der Marquesaner und legt die Hände in den Schoß. Und das ist ohne Zweifel natürlich. Es mag eitel erscheinen, aber wir arbeiten und darben nicht für den Lohn, den unser Einzeldasein uns bietet, sondern blicken schüchtern voraus auf das Leben und das ehrende Gedenken unserer Nachkommen, und wäre niemand, der aus eigenem Blut oder Stamm uns nachfolgte – ich bezweifle, obdann die Rothschilds Geld angehäuft hätten und Cato tugendhaft gewesen wäre. Es wäre gut, von Zeit zu Zeit den Marquesanern einen Anreiz zu geben, aus der Lethargie zu erwachen. An der ganzen Küste landeinwärts von Anaho wächst Baumwolle wie Unkraut, Männer und Frauen können, wenn sie sammeln, täglich einen Dollar verdienen, aber als wir ankamen, war das Lager des Händlers vollständig leer, und bevor wir abfuhren, war es nahezu voll. Solange wir als Schaustück da waren und die »Casco« in der Bucht ankerte, wollte jeder uns einen Besuch abstatten, und zu diesem Zweck brauchte jede Frau ein neues Gewand, jeder Mann Hemd und Hosen. Niemals zuvor hatte man nach Mr. Reglers Erfahrungen soviel Arbeitslust gezeigt.
In ihrer Mutlosigkeit steckt ein gut Teil Furcht. Die Angst vor Geistern und Dunkelheit ist tief eingegraben in das Gemüt des Polynesiers und nicht am wenigsten in das der Marquesaner. Der arme Taipi, Häuptling von Anaho, war in einer mondlosen Nacht dazu verurteilt, nach Hatiheu zu reiten. Er borgte sich eine Laterne, saß eine lange Weile still, um sich Mut zu machen für das Abenteuer, und als er schließlich fortging, schüttelte er uns die Hand, als ob wir uns für ewig trennten. Gewisse Wesen, Vehinehae genannt, bevölkern die Wege in der Nacht und machen sie furchtbar. Man erzählte mir, sie seien wie Nebel, und wenn der Wanderer näher käme, verflüchtigten sie sich und verschwänden; ein anderer beschrieb sie als Menschen mit Katzenaugen; von niemand konnte ich Aufklärung darüber bekommen, was sie anrichteten, und warum man sie fürchtete. Man darf aber überzeugt sein, daß sieTote darstellen, und die Toten können nach der Ansicht der Insulaner alles durchdringen. »Wenn ein Eingeborener sagt, er sei ein Mensch,« schreibt Dr. Codrington, »so meint er, daß er ein Mensch und kein Geist, nicht etwa, daß er ein Mensch und kein Tier sei. Die vernünftigen Wesen in der Welt sind nach seiner Ansicht die lebenden Menschen, während die Geister tote Menschen sind.« Dr. Codrington spricht von Melanesien, aber nach meinen Erfahrungen gelten seine Worte auch von Polynesien. Und noch mehr. Unter Kannibalenvölkern ruht auf den Toten im allgemeinen ein furchtbarer Verdacht, und die Marquesaner, die größten Menschenfresser von allen, sind kaum frei von ähnlichen Vorstellungen. Ich glaube recht zu raten, wenn ich annehme, daß die Vehinehae die hungrigen Seelen der Verstorbenen sind, die das Geschäft ihres Lebens, auf Menschenfleisch zu jagen, fortsetzen und überall unsichtbar lauern, um die Lebendigen zu verschlingen. Von einem andern Aberglauben erfuhr ich durch das zweifelhafte Englisch Tari Sargs. Die Toten, erzählte er mir, kämen und tanzten nachts rund um das Paepae ihrer früheren Familie; die Familie geriete dadurch in eine gewisse Erregung – ob aus frommer Trauer oder aus Furcht, konnte ich nicht feststellen – und müßte ein Festmahl veranstalten, zu dem unbedingt Fisch, Schweinefleisch und Popoi gehören. Soweit ist alles klar. Aber nun führte Tari das neue Haus von Toma als Beispiel an mit dem Herdbrandfestmahl, das gerade damals in Vorbereitung war, und zwar als charakteristisches Beispiel. Dürfen wir diese Dinge tatsächlich miteinander verbinden und uns dabei der verlassenen Ruinen erinnern, um anzunehmen, daßdie Toten beständig die Paepaes der Lebenden belagern, nur durch Versöhnungsfeste von der Zeit der Grundsteinlegung an verdrängt werden und sofort wieder Besitz ergreifen von
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