In der Südsee
Archipels bewegt hätte, das eine oder das andere zugeben müßte: entweder waren die Bäuche geschwollen, oder das Zeugnis von Menschen ist überhaupt wertlos.
Ich habe keine dieser begnadeten Damen kennengelernt, aber ich habe selbst eine sonderbare Erfahrung gemacht, denn ich habe, allerdings nur für eine Nacht, die Rolle eines pfeifenden Geistes gespielt. Es hatte den ganzen Tag heftig geweht, aber mit hereinbrechender Nacht war der Wind abgeflaut, und der volle Mond segelte am klaren Himmel. Wir gingen südwärts die Insel entlang auf der Seite der Lagune und wanderten durch langgestreckte Palmenwälder auf schneeweißem Sande dahin. Nirgends Leben, nirgends ein Laut, bis wir auf dem bewaldeten Teil der Insel die Glut eines Feuers wahrnahmen und nicht weil davon in einem dunklen Hause Eingeborene leise sprechen hörten. Ohne Licht zu sitzen, selbst in Gesellschaft und unter Dach, ist für einen Paumotuaner ein äußerst kühnes Unterfangen. Die ganze Szene – das starke Mondlicht und die sonderbaren Schatten auf dem Sand, die umhergestreuten Glutreste, der Laut der leisen Stimmen vom Hause her und das Plätschern der Lagune längs der Küste – veranlaßten in mir, ich weiß nicht wie, abergläubische Vorstellungen. Ich war barfuß, ich bemerkte, daß meine Schritte lautlos waren, und als ich mich dem dunklen Hause näherte und dabei mich sorgfältig im Schatten hielt, begann ich zu pfeifen. Es war irgendein Gassenhauer, ein nicht gerade ernstes Lied. Beim ersten Ton stockte die Unterhaltung, jede Bewegung hörte auf, Schweigen begleitete mich, während ich weiterging, und als ich bei meiner Rückkehr denselben Weg nahm, bemerkte ich, daß die Lampe im Hause brannte, die Lippen aber noch immer stumm waren. Die ganze Nacht hindurch, davon bin ich heute überzeugt, zitterten die armen Kerle und schwiegen.Denn ich hatte in der Tat damals keine Ahnung von der Natur und Größe des Schreckens, den ich einjagte, und mit welch furchtbaren Gesichten die Töne jenes alten Liedes das dunkle Haus erfüllt hatten.
Fünftes Kapitel
Ein paumotuanisches Begräbnis
Nein, ich hatte keine Ahnung von den Ängsten dieser Menschen. Aber ich hatte schon früher einen Wink bekommen, ohne ihn zu verstehen, und der Anlaß war ein Begräbnis.
Ein wenig abseits von der Hauptstraße von Rotoava wohnte in einer niedrigen Laubhütte, die auf einen kleinen eingezäunten Platz hinauslief wie ein Schweinestall auf den Auslauf, ein alter Mann einsam mit seiner bejahrten Frau. Vielleicht waren sie zu alt, um mit den anderen auszuziehen, vielleicht waren sie auch zu arm und hatten keine Besitztümer zu verteidigen. Jedenfalls waren sie daheim geblieben, und so kam es, daß sie zu meinem Fest eingeladen wurden. Ich kann wohl sagen, daß es sich wirklich um einen fast politischen Entschluß handelte in dem Schweinestall, ob sie kommen oder nicht kommen sollten. Und der Gatte schwankte lange zwischen Neugier und Altersschwäche, bis die Neugier siegte und sie kamen, und inmitten dieser letzten Freude berührte der Tod seine Schulter. Einige Tage lang wurde seine Matte unter dem heiteren Himmel und dem kühlen Wind auf der Landstraße des Dorfes ausgebreitet, und man sah ihn dort,nur noch der Schatten eines Menschen, untätig liegen, während sein Weib untätig zu seinen Häupten saß. Sie schienen alle menschlichen Nöte und Fähigkeiten vergessen zu haben, sie sprachen und hörten nicht, sie ließen uns vorübergehen, ohne aufzublicken, die Frau bewegte den Fächer nicht und schien ihrem Mann nicht aufzuwarten, die beiden armen Alten saßen nebeneinander unter dem hohen Baldachin der Palmen wie die in ihre Urelemente aufgelöste menschliche Tragödie, von allem Pathos entblößt, lebhafte Neugier erregend. Und doch verfolgte mich der Gedanke an das Pathetische einer Tatsache: daß noch soviel Jugend und Erwartungsfreude in diesen abgestorbenen Adern gelebt halte, und daß der Wann den ganzen Rest seiner Lebenskraft an eine Vergnügung verschwendet hatte.
Am Morgen des siebzehnten September starb der Dulder, und da die Zeit drängte, wurde er am gleichen Tage um vier Uhr beerdigt. Der Friedhof liegt seewärts hinter dem Regierungsgebäude. Zerbrochene Koralle bedeckt die Oberfläche wie Straßenkies, ein paar Holzkreuze und ein paar unansehnliche, aufgerichtete Steine bezeichnen die Gräber, eine zementierte Mauer, hoch genug, um sich darauf stützen zu können, schließt den Platz ein, und dichtes Gesträuch umgibt ihn mit blassen Blättern.
Weitere Kostenlose Bücher