In der Südsee
Rücksicht auf meinen Unglauben zu fordern. Auch muß ich mir einer Tatsache immer gewiß sein: ich mag soviel Vorsicht üben, wie ich will, ich werde nie alles hören, denn er ist bereits auf der Hut vor mir, und der Umfang seines Aberglaubens ist grenzenlos.
Ich will nur ein paar Beispiele herausgreifen, hauptsächlich aus meiner eigenen nächsten Umgebung in Upolu während des verflossenen Monats (Oktober 1890). Einer meiner Arbeiter wurde neulich zur Bananenpflanzung geschickt, um dort zu graben. Es ist eine Felsschlucht, in Wäldern vergraben, völlig außer Seh- und Hörweite aller Menschen, und lange vor Dunkelheit war Lafaele wieder zurück beim Küchenhaus mit verwirrten Mienen; er wagte nicht länger allein zu bleiben, er fürchtete sich vor den Geistern im Busch. Es scheint, es sind die Seelen der unbegrabenen Toten, die sich dort herumtreiben, wo sie gefallen sind, und die Gestalten von Waldgetier annehmen, von Schweinen, Vögeln oder Insekten. Der Busch ist voll von ihnen, sie scheinen nichts zu essen, aber trotzdem anscheinendeinsame Wanderer zu erschlagen und von Zeit zu Zeit in menschlicher Gestalt die Dörfer zu besuchen und sich unerkannt unter die Einwohner zu mischen. Soviel erfuhr ich ein oder zwei Tage später, als ich mit einem sehr intelligenten jungen Eingeborenen im Busch spazierenging. Es war ein wenig vor zwölf Uhr mittags, ein grauer und stürmischer Tag, und vielleicht hatte ich leichtsinnig geredet. Eine dunkle Wetterwolke barst am Gebirgsabhang, die Bäume ächzten und stöhnten, das welke Laub erhob sich in Wolken vom Boden wie Schmetterlinge, und mein Begleiter stand plötzlich vollkommen still. Er fürchtete sich, wie er sagte, daß die Bäume umfielen, aber sobald ich das Thema des Gesprächs gewechselt hatte, schritt er heiter fürbaß. Einige Tage zuvor kam ein Bote mit einem Brief den Berg hinauf von Apia, ich war im Busch, er mußte meine Rückkehr abwarten und dann verweilen, bis ich die Antwort aufgesetzt hatte. Bevor ich jedoch fertig war, erhob er schrill seine Stimme, voll Schreck vor dem Einbruch der Nacht und dem langen Weg durch den Wald. Das sind einfache Leute. Wie steht es mit den Häuptlingen? Ein großes Auftauchen und Verschwinden von Zeichen und Vorbedeutungen geschah auf unserer Inselgruppe. In einem Fluß wurde das Wasser zu Blut, rote Igel wurden in einem anderen gefangen, ein unbekannter Fisch wurde an die Küste geworfen, der ein geheimnisvolles Wort auf den Schuppen trug. Soweit könnte man glauben, in einer Mönchschronik zu lesen, aber jetzt kommen wir zu einer besonderen Note, die zugleich modern und polynesisch ist. Die Götter von Upolu und Savaii, unseren beiden Hauptinseln, maßen sich vor einiger Zeit im Kricket. Seitjener Zeit befinden sie sich im Kriegszustand. Schlachtenlärm hört man die Küste entlang rollen. Eine Frau sah einen Mann von der hohen See herüberschwimmen und sofort im Busch verschwinden, es war niemand aus der Nachbarschaft, und es war bekannt, daß es einer der Götter war, der zum Kriegsrat eilte. Das Bemerkenswerteste aber von allem: Ein Missionar auf Savaii, der zugleich Medizinmann ist, wurde spät nachts durch Klopfen gestört. Es war nicht die Zeit für ärztliche Behandlungen, aber schließlich weckte er seinen Diener und beauftragte ihn nachzusehen. Der Diener schaute durch ein Fenster und sah eine Menge Personen, alle mit schweren Wunden, zerstückelten Gliedmaßen, gespaltenen Schädeln und blutenden Schußwunden, aber als die Tür geöffnet wurde, waren sie alle verschwunden. Es waren Götter vom Schlachtfeld. Nun haben diese Berichte sicher eine Bedeutung, und es ist nicht schwer, sie auf politisch Unzufriedene zurückzuführen oder in ihnen eine Drohung mit zukünftigen Unruhen zu sehen. So menschlich betrachtet, fand ich sie selbst schwerwiegend genug als Vorzeichen. Aber gerade ihre Bedeutung als Geistererscheinungen wurde in den geheimen Ratsversammlungen meiner Eingeborenenherrscher diskutiert. Ich kann diesen Zwiespalt des polynesischen Geistes am besten durch zwei miteinander verbundene Vorkommnisse schildern. Einst lebte ich in einem Dorf, dessen Namen ich nicht die Absicht habe zu nennen. Der Häuptling und seine Schwester waren sehr kluge Leute, vornehm und redegewandt. Die Schwester war sehr religiös, ging oft zur Kirche und pflegte mir Vorwürfe zu machen, wenn ich fortblieb. Später stellte ich fest, daß sie heimlich einen Haifischverehrte. Der Häuptling selbst hatte etwas von einem Freidenker,
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