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In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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gestorben ist, mit leuchtenden Augen, starrte zum Osten, legte die Fingerspitzen an den Mund wie jemand, der friert, gab einen sonderbaren, fröstelnden Laut von sich, wie ein Pfeifen oder ein Stöhnen, der das Blut erschauern ließ, und da soeben der Morgenstern aus der See aufstieg, war er plötzlich verschwunden. Da verstand Rua, warum es seinem Vater so gut ging, warum seine Fische früh am Tage faulten, und warum stets einige zum Friedhof getragen und auf die Gräber gelegt wurden. Mein Gewährsmann ist dem Aberglauben sicher nicht abgeneigt, aber er ist klug und nimmt ein höheres Interesse an diesen Dingen, das ich wissenschaftlich nennen möchte. Der letzte Punkt erinnerte ihn an eine ähnliche Sitte auf Tahiti, und er fragte Rua, ob die Fische auf dem Grabe gelassen oder nach einer formalen Schenkung wieder mit nach Hause genommen würden. Es scheint, daß der alte Mariterangi beide Methoden ausübte, manchmal bot er seinem Freund aus dem Schattenreich nur etwas an, ein anderes Mal ließ er den Fisch ehrlich auf dem Grabe verfaulen.
    Wir haben ohne Zweifel Erzählungen ähnlicher Art, und der polynesische »varua ino « oder »aitu o le vao« ist offenbar ein naher Verwandter des transsylvanischen Vampirs. Hier folgt eine Erzählung, in der die Verwandtschaft in groben Zügen erkennbar ist. Auf dem Atoll Penrhyn, damals noch teilweise von Wildenbewohnt, war ein gewisser Häuptling lange der heilsame Schrecken der Eingeborenen. Er starb und wurde beerdigt, und kaum hatten seine ehemaligen Nachbarn die Annehmlichkeiten der Freiheit gekostet, als der Geist im Dorf erschien. Furcht ergriff alle, eine Ratsversammlung der Anführer und Zauberer wurde veranstaltet, und unter Zustimmung des Missionars Rarotongan, der sich ebenso fürchtete wie die übrigen, und in Gegenwart mehrerer Weißer – mein Freund Mr. Ben Hird war unter ihnen – wurde das Grab geöffnet, tiefer ausgeschachtet, bis das Wasser kam, und der Leichnam wieder eingegraben mit dem Gesicht nach unten. Das Pfählen der Selbstmörder in England, das bis vor kurzem Sitte war, sowie das Köpfen der Vampire im Osten Europas sind eng verwandte Erscheinungen.
    Auf Samoa erwecken nur die Geister der Unbeerdigten Furcht. Während des letzten Krieges fielen im Busch viele Menschen, ihre Körper, manchmal ohne Kopf, wurden von eingeborenen Hirten zurückgebracht und beerdigt, aber das war, ohne daß ich den Grund wüßte, nicht hinreichend, und der Geist trieb sich noch am Ort des Todes herum. Als der Friede zurückkehrte, veranstaltete man an vielen Plätzen eine eigenartige Zeremonie, und besonders an den hochgelegenen Schluchten von Lotoanuu, wo lange der Mittelpunkt des Kampfes und die Verluste schwer gewesen waren. Die Frauen aus der Verwandtschaft der Toten trugen Matten oder Decken herbei, unter der Hut von überlebenden Mitkämpfern. Der Sterbeplatz wurde sorgfältig gesucht, die Decke auf dem Boden ausgebreitet, und die Frauen saßen in frommer Furcht und beobachtetensie. Wenn irgendein Lebewesen erschien, wurde es zweimal fortgejagt; beim drittenmal erkannte man in ihm den Geist des Toten, es wurde eingewickelt nach Hause getragen und neben dem Leichnam beerdigt: der Aitu hatte Ruhe. Die Zeremonie wurde ohne Zweifel in frommer Einfältigkeit ausgeübt, die Ruhe der Seele war ihr Ziel, ihr Beweggrund ehrfürchtige Liebe. Der gegenwärtige König will in der Tat nichts von gefährlichen Aitus wissen, er erklärt, die Seelen der Unbestatteten wanderten nur in der Vorhölle umher, da sie den Eingang zum eigentlichen Land der Toten nicht fänden, sie seien unglücklich, aber keineswegs boshaft. Und diese Meinung, streng auf eine Klasse beschränkt, stellt ohne Zweifel die Ansicht der Gebildeten dar. Aber die Flucht meines Lafaele kennzeichnet die ungeheuren Furchtzustände der Ungebildeten.
    Dieser Glaube an die geisterscheuchende Kraft der Beerdigungszeremonien erklärt wahrscheinlich eine Tatsache, die sonst sehr erstaunlich wäre: daß nämlich kein Polynesier unsere europäische Furcht vor menschlichen Gebeinen und Mumien irgendwie teilt. Von Anfang an waren sie ihre schönsten Schmuckgegenstände, sie bewahrten sie in Häusern oder Begräbnishöhlen auf, und die Wächter königlicher Gräber wohnten mit ihren Kindern inmitten der Gebeine von Generationen. Auch die Mumie wurde selbst während der Herrichtung wenig gefürchtet. Auf den Marquesas wurde sie in den Küstendörfern von den Familienmitgliedern unter beständiger Salbung und

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