In der Zone
und wettergegerbt wie der Gummiball an einer alten Fahrradhupe – hatte eine Krankheit namens Ciguatera, die man sich durch den Verzehr bestimmter tropischer Fische zuzog, in denen sich ein Gift anreicherte. Dieses Gift beeinträchtigte das Nervensystem, und das hatte zur Folge, dass der Mann ständig unkontrolliert zuckte. Er hatte alle Zähne bis auf einen verloren, und auch seine Augen waren in Mitleidenschaft gezogen, so dass er eine sehr dicke Brille tragen musste, um auch nur schemenhaft sehen zu können. Als sie eines Tages in einem tropischen Hafen Landgang hatten, schlenderten Leonid und ein anderer Schiffskamerad an einem Café vorbei und sahen den Mann dort sitzen, ein Bier in der Hand und vor sich einen gebratenen Barracuda. »Mein Freund, was machst du da?« sagte Leonid. »Weißt du denn nicht, dass das genau die Art von Fisch ist, die dich krank macht?« Und der andere lächelte ihn mit vollem Mund an und antwortete: »Ja, das weiß ich, aber es ist der beste Fisch, den es gibt.«
Genau so war es. Sie sah Leonid mit seinen großen Ohren und dem faltigen, gelassenen Gesicht an und hob ihr Glas. Er stieß mit ihr an und lächelte breit. »Auf deine Gesundheit«, sagte sie.
In diesem Jahr kam der erste Frost spät, und als er das Laub bunt gefärbt hatte und die Blätter der Tomatenpflanzen verwelkt waren, folgte gleich darauf eine kurze Rückkehr des Sommers, eine jener herbstlichen Idyllen, wie man sie alle Jubeljahre einmal erlebte. Mascha war im Garten, im prallen, warmen Sonnenlicht, und erntete Kürbisse und Gurken und Bohnen, während die Töpfe auf dem Herd kochten und Leonid ihr nach Kräften beim Einmachen half, einer Tätigkeit, die sie von morgens bis abends in Anspruch nahm. Plötzlich hörte sie auf der Straße vor dem Haus Huftritte. Sie hob den Kopf und erwartete, einen Elch oder einen der großen, majestätischen Rothirsche zu sehen, von denen die Wälder wimmelten und deren Anblick sie jedesmal mit Freude erfüllte, doch sie erlebte eine Überraschung. Auf der Straße stand ein Mann, ein junger Mann in den Zwanzigern und mit demselben Gesichtsausdruck wie der Bandit, der sie im vergangenen Frühjahr in die Zone gefahren hatte. Für einen Augenblick verschlug es ihr den Atem, und sie fürchtete, dass es Ärger geben würde. Doch dann sah sie, dass er schlicht gekleidet war – keine Stiefel, keine Lederjacke – und dass sein Gesicht von der breiten Krempe eines Filzhuts beschattet war, wie ihn Bauern trugen. Und noch überraschender – verblüffender, verwunderlicher – war, dass er an einem Seil zwei Milchkühe führte, die mit seinen in Sackleinen gewickelten Habseligkeiten beladen waren.
Er schrak zusammen, als er sie erblickte – sie hatte sich von den Knien erhoben und wischte sich die Hände am Rock ab –, doch dann rief er einen Gruß, und im nächsten Augenblick war er im Garten und kam den Weg entlang auf sie zu. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Seit Nikolai dagewesen war, hatten sie keinen Menschen mehr gesehen – sie wusste gar nicht mehr, wie sie sich in Gegenwart eines Besuchers verhalten sollte. Als sie seinen Gruß erwiderte, war ihre Stimme wie eingerostet.
Er war keine fünf Meter entfernt, die Kühe zerrten am Seil, wandten sich hierhin und dorthin und senkten schließlich die Köpfe, um zu grasen, und da erst bemerkte sie, dass der Mann nicht allein war. Eine junge, unter dem Gewicht eines Rucksacks gebeugte Frau kam um die Kurve der Straße. Sie hatte das blonde, im Sonnenlicht schimmernde Haar aufgesteckt, und hinter ihr gingen zwei Kinder, schlank und langbeinig, die mit ihr Schritt hielten, obwohl sie kaum älter als sieben oder acht sein konnten. »Hallo«, rief der Mann, und jetzt war Sobaka da, er bellte und fletschte die Zähne, und Leonid erschien in der Tür und hatte die Flinte in der Hand. »Ich wusste nicht, dass hier jemand lebt«, sagte der Mann, und wenn der Hund – oder der Anblick von Leonid – ihn einschüchterte, so ließ er es sich nicht anmerken. Ja, er machte einen so entspannten Eindruck, als stünde er in seinem eigenen Garten, als wäre dies sein eigener Hund und sie und Leonid wären die Eindringlinge.
Eines der Kinder stieß einen Schrei aus, und dann rannten beide mit wirbelnden nackten Knien und Armen durch den Garten, während Sobaka um sie herumtänzelte und die Frau ihnen folgte und den Rucksack in das hohe Gras legte. »Wissen Sie, ob das Haus der Ilenjuks noch steht?« fragte die Frau und kam näher, bis sie neben
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