In der Zone
vom Unkraut überwucherten Straße dahin und wartete auf das erste Licht des Tages, um zu sehen, was aus ihrem Heim geworden war. Waren Plünderer dagewesen? Oder Tiere? Was war mit ihrem Bett, ihren Laken, ihren Decken? Würde sie überhaupt irgendwo schlafen können? Standen die Wände noch? War das Dach noch da? Ihr Vater hatte immer gesagt, wenn man eine Scheune, einen Schuppen oder ein Haus loswerden wolle, brauche man nur ein Loch ins Dach zu machen – den Rest werde die Natur erledigen. Der linke Schuh drückte an der Stelle, wo ihre Zehen gegen das abgewetzte Leder stießen. Ihre Knöchel waren geschwollen, und ihre Schultern schmerzten unter dem Gewicht der Taschen.
Leonid war längst verstummt, und das Licht seiner Taschenlampe wurde trüber. Sie ging immer langsamer und passte ihr Tempo dem seinen an. Am liebsten hätte sie ihn zurückgelassen, sein Schlurfen und Schnaufen ging ihr auf die Nerven – er war nichts weiter als ein alter Mann –, und nur mit Mühe unterdrückte sie den Impuls, ihm die Taschenlampe abzunehmen und in der Nacht zu verschwinden. Wieder hörte sie die Wölfe. Ihr Heulen klang wie eine Radiointerferenz: Es begann mit einem tiefen Ton, der immer mehr anschwoll und mit einem schrillen Klagen abbrach. Ein Geruch nach Sumpf und Schlamm und brachliegendem Land lag in der Luft. Sie setzte einen Fuß vor den anderen und ging dabei in Gedanken ihren Küchenschrank durch – die Konserven, die Gläser voller Reis, Mehl und Zucker, die sie in das oberste Fach gestellt hatte, wo sie vor den Mäusen sicher waren, die Gewürze, das Geschirr und die Kochtöpfe –, als der Himmel im Osten heller wurde und sie die Welt sah, wie sie einst gewesen war. Fünf Minuten später – sie beeilte sich jetzt und dachte nicht mehr an Leonid und seine Taschenlampe – stand sie in ihrem Garten, wo die Blumen wild wucherten und der Apfelbaum, den sie selbst gepflanzt hatte, bereits blühte und die dunklen horizontalen Linien des Hauses aus den Schatten zum Vorschein kamen, als wäre sie nie fortgewesen.
Der erste Tag war einer der glücklichsten in ihrem ganzen Leben. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der all die Jahre eingesperrt gewesen und jetzt frei war, sie war ausgelassen wie ein junges Mädchen. Und das Haus, das Haus war wie ein Wunder: Alles war so, wie sie es zurückgelassen hatte, und die Gerüche riefen tausend Erinnerungen wach: an Oleksyj, an die schönen Zeiten, die Sommerabende, an denen es geschienen hatte, als würde das Licht nie vergehen, an die Winter, in denen sie eingeschneit gewesen waren und am Ofen Schach und Dame gespielt hatten, während die Katze auf ihrem Schoß geschnurrt und der Samowar gesummt hatte und die Stille so absolut gewesen war, dass man sich darin hätte einhüllen können. Das Bett war noch gemacht. Zwar war die Decke feucht und schimmlig, und der Kissenbezug fühlte sich glitschig an, aber das machte nichts – das konnte man waschen, alles konnte man waschen. Natürlich war einiges kaputt, das sah sie auf den ersten Blick. Eines der hinteren Fenster war zerbrochen, die Scherben lagen auf dem Teppich. Und eine Birke, so dick wie ihre Taille, war umgestürzt und lehnte am Dach. Wo einst ihr Garten gewesen war, wucherten Unkraut und junge Bäume, im Ofen nisteten Mäuse, und auf dem Küchenschrank hatten Vögel gebrütet, aber es waren keine Plünderer dagewesen – die hatten sich an die Städte gehalten, an Pripjat und Tschernobyl. Alles war mit Staub bedeckt, es gab Spinnweben und Mäuse und Vögel, aber das war nichts, was man mit Besen, Wischlappen und einem starken Rücken nicht hätte in Ordnung bringen können.
Sie stand am Ofen und legte drei Jahre altes Anmachholz in die Brennkammer; die Mäuse würden sehen müssen, wo sie blieben. Sie würde Feuer machen, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, und dann würde sie ein Stück Pappe über das zerbrochene Fenster kleben und Wasser zum Kochen bringen, um das Bettzeug zu waschen und den Tisch und die Spüle zu putzen, und hier, an dem Haken, an dem sie ihn aufgehängt hatte, war ihr größter Topf, in dem sie aus dem Schweinefleisch, dem Kohl und den Kartoffeln, die sie mitgebracht hatte, eine Suppe kochen würde – vielleicht würde sie noch etwas von den Vorräten im Küchenschrank hineingeben, denn solange die Dosen unversehrt waren, konnte man sie doch verwenden, oder nicht? In diesem Augenblick hörte sie hinter sich ein Geräusch, und als sie sich umdrehte, sah sie Leonid, in dessen Gesicht nichts mehr
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