In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
away, come sail away with me, dup-dup-di-dup …
Wieder dieser Song.
Die Ampel springt um. Der Fahrer gibt Gas.
Der Sinn beim Sex ist … Sex hat keinen Sinn.
Es ist nur so, dass es nach all den Jahren kompliziert werden kann. An manchen Abenden kommt man sich ein bisschen … Nun ja. Man will eigentlich gar keinen Sex, aber man will auch nicht die Hälfte eines Paars sein, das eine erwachsene Tochter hat, geheime Sorgen und eine gute, wenn auch leicht heikle Freundschaft, zu der nicht mehr unbedingt Sex an einem Samstagabend gehört, nach einer Party, leicht angesäuselt von Elena Petrovas vielgepriesenem persönlichem Wodka, dazu einer Flasche Wein beim Essen hinterher.
Er ist vierundvierzig. Erst vierundvierzig. Sie ist noch nicht einmal einundvierzig.
Dein empfindlicher Magen steigert die Lust auch nicht unbedingt. Was hat es damit auf sich? Was sind die ersten Symptome eines Geschwürs?
Im Bett trägt sie ein Höschen, ein Hanes-T-Shirt mit V-Ausschnitt und Baumwollsocken (sie bekommt bis zum Hochsommer kalte Füße). Er trägt eine weiße Unterhose. Sie sehen sich zehn Minuten lang CNN an (eine Autobombe in Pakistan, siebenunddreißig Tote; eine abgefackelte Kirche in Kenia, in der eine noch nicht bekannte Anzahl von Menschen war; ein Mann, der gerade seine vier kleinen Kinder von einer fünfundzwanzig Meter hohen Brücke in Alabama geworfen hat – nichts über das Pferd, aber das dürfte in den Lokalnachrichten kommen, wenn überhaupt), dann zappen sie herum, verweilen eine Zeitlang bei Vertigo , der Szene, in der James Stewart Kim Novak (in diesem Fall Madeleine) zu der Missionsstation mitnimmt, um sie davon zu überzeugen, dass sie nicht die Reinkarnation einer toten Kurtisane ist.
»Wir sollten es ausmachen«, sagt Rebecca.
»Wie spät ist es?«
»Nach Mitternacht.«
»Den habe ich seit Jahren nicht gesehen.«
»Das Pferd ist noch da.«
»Was?«
»Das Pferd.«
Kurz darauf sitzen James Stewart und Kim Novak tatsächlich in einer alten Kutsche hinter einem lebensgroßen Pferd aus Plastik oder so etwas Ähnlichem.
»Ich dachte, du meinst das Pferd von vorhin«, sagt Peter.
»Oh. Nein. Komisch, wie diese Sachen auftauchen, nicht wahr? Wie lautet das Wort?«
»Synchronizität. Woher weißt du, dass das Pferd noch da ist?«
»Ich war dort. Bei dieser Missionsstation. Im College. Es sieht genauso aus wie im Film.«
»Aber das Pferd könnte jetzt natürlich weg sein.«
»Wir sollten wirklich ausmachen.«
»Warum?«
»Ich bin zu müde.«
»Morgen ist Sonntag.«
»Du weißt doch, wie es ausgeht.«
»Wie was ausgeht?«
»Der Film.«
»Sicher weiß ich, wie er ausgeht. Ich weiß auch, dass Anna Karenina von einem Zug überfahren wird.«
»Schau ihn dir an, wenn du willst.«
»Nicht, wenn du es nicht willst.«
»Ich bin zu müde. Sonst bin ich morgen unleidlich. Mach ruhig.«
»Du kannst nicht schlafen, wenn der Fernseher läuft.«
»Ich kann’s versuchen.«
»Nein. Ist schon okay.«
Sie bleiben bei dem Film, bis James Stewart sieht – zu sehen meint -, wie Kim Novak vom Turm fällt. Dann stellen sie ab und schalten das Licht aus.
»Wir sollten ihn irgendwann ausleihen«, sagt Rebecca.
»Das sollten wir. Er ist großartig. Ich habe irgendwie vergessen, wie großartig er ist.«
»Er ist sogar noch besser als Das Fenster zum Hof .«
»Findest du?«
»Ich weiß es nicht, ich habe sie so lange nicht mehr gesehen.«
Beide zögern. Wäre sie auch froh, wenn sie gleich schlafen könnte? Vielleicht. Der eine küsst immer, der andere wird immer geküsst. Danke, Proust. Er merkt, dass sie genauso froh wäre, wenn sie den Sex ausließen.Warum wird sie ihm gegenüber so kühl? Okay, er hat ein paar Pfunde zu viel um die Taille, und ja, sein Arsch ist nicht mehr der strammste. Was ist, wenn sie ihn tatsächlich nicht mehr liebt? Wäre das tragisch oder befreiend? Wie wäre es, wenn sie ihn freigäbe?
Es wäre undenkbar. Mit wem sollte er reden, wie sollte er Lebensmittel einkaufen oder fernsehen?
Heute Nacht wird Peter derjenige sein, der küsst. Sobald sie damit anfangen, wird sie froh sein. Nicht wahr?
Er küsst sie. Sie erwidert den Kuss bereitwillig. Wirkt jedenfalls bereitwillig.
Inzwischen könnte er das Gefühl, sie zu küssen, nicht mehr beschreiben, den Geschmack ihres Mundes – er ist dem Geschmack in seinem eigenen Mund zu nahe. Er berührt ihre Haare, nimmt eine Handvoll und zieht behutsam. In den ersten paar Jahren war er ein bisschen grober mit ihr, bis ihm klar
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