In die Wildnis
sogenannte Outer Range, eine kleinere Bergkette, die von fern an die zerwühlte Decke eines ungemachten Betts erinnert. Zwischen den steinernen Gipfeln ihrer beiden äußersten Steilhänge verläuft von Osten nach Westen ein schmaler, etwa fünf Meilen langer Streifen sumpfiges Schwemmland. Durch dieses hügelige, von Erlenbüschen und lichten Fichtenreihen bestandene Gebiet schlängelt sich der Stampede Trail, den Chris McCandless auf seinem Weg in die Wildnis nahm.
Der Pfad war in den dreißiger Jahren von Earl Pilgrim, einem sagenumwobenen Bergarbeiter, erkundet und markiert worden. Pilgrim hatte am Stampede Creek, etwas oberhalb der Stelle, an der sich der Toklat River gabelt, eine Reihe von Antimongruben abgesteckt. 1961 wurde eine Firma aus Fairbanks, die Yutan Construction Company, beim Bundesstaat von Alaska vorstellig (dem Land war erst zwei Jahre zuvor volle Souveränität verliehen worden) und erwarb das Recht, den Trail auszubauen. Der Pfad mußte gerodet und für Lastwagen befahrbar gemacht werden. Nur so konnte das Mineralgemenge abtransportiert und die Grube ganzjährig bewirtschaftet werden. Zur Unterbringung der Bauarbeiter legte sich die Yutan drei ausrangierte Omnibusse zu, stattete sie mit Kojen und einfachen Heizöfen aus und karrte sie mit einer D - 9 - Planierraupe in die Wildnis hinaus.
1963 wurde das Projekt fallengelassen. Inzwischen waren etwa fünfzig Meilen Straße fertiggestellt worden, allerdings ohne die erforderlichen Brücken - das Gebiet war von zahllosen Flüssen durchschnitten. Auftauendes Erdreich und jahreszeitlich bedingte Überschwemmungen machten den Trail schon wenig später unpassierbar. Die Yutan schleppte zwei der Busse wieder zum Highway zurück. Der dritte wurde etwa auf halber Höhe des Trails stehengelassen und sollte schonbald zu einem Zufluchtsort für Jäger und Trapper werden. In den folgenden drei Jahrzehnten wurde das Straßenbett durch die immer wiederkehrenden Überschwemmungen weiter ausgehöhlt. Der Trail wurde von Büschen und Sträuchern überwuchert, Biberteiche taten ihr übriges. Der Omnibus jedoch blieb.
Der aus den Vierzigern stammende International Harvester hat mittlerweile fast Museumswert. Er steht gleich hinter der Grenze zum Denali - Nationalpark, etwa fünfundzwanzig Meilen Luftlinie westlich von Healy. Zwischen halbhohen Berufkrautsträuchern am Straßenrand rostet er, seltsam deplaciert, vor sich hin. Der Motor ist nicht mehr vorhanden. Fensterscheiben sind zersprungen oder fehlen gänzlich, und das Businnere ist mit den Scherben zerschlagener Whiskeyflaschen übersät. Die grünweiße Lackierung ist stark oxydiert. Eine verwitterte Beschriftung verweist noch auf den alten Besitzer: Fairbanks City Transit System, Bus 142. Heutzutage können gut und gerne sechs, sieben Monate vergehen, bevor irgendein einsamer Waldbesucher sich zu der Stelle mit dem alten Gefährt verirrt. An einem Nachmittag Anfang September 1992 fanden sich dort jedoch gleich sechs Personen dreier verschiedener Gruppen ein.
Der Denali - Nationalpark war 1980 um die Kantishna Hills und einen Gebirgszug am Nordrand der Outer Range erweitert worden. Inmitten des neuen Parkareals liegen jedoch auch die sogenannten Wolf Townships, die von der Neuordnung unberührt blieben. Es handelt sich dabei um eine langgezogene Niederung, durch die die erste Hälfte des Stampede Trail führt. Das sieben mal zwanzig Meilen große Areal wird an drei Seiten von Nationalparkgelände umschlossen und weist daher einen ungewöhnlich hohen Wildbestand auf. Wölfe und Bären, Karibus und Elche, aber auch andere Tierarten haben hier ihr Revier. Unter den Jägern und Trappern der Gegend ist dies ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Sobald also im Herbst die Elchjagd beginnt, schauen immer ein paar von ihnen an der alten Busruine vorbei, die sich am Sushana River am westlichen Zipfel der Wolf Townships befindet, nur zwei Meilen von der Parkgrenze entfernt.
Ken Thompson, der Besitzer einer Karosseriewerkstatt in Anchorage, sein Angestellter Gordon Samel und ihr gemeinsamer Freund Ferdie Swanson, ein Bauarbeiter, brechen am 6. September 1992 zur Elchjagd in Richtung Bus auf. Dorthin zu gelangen ist allerdings leichter gesagt als getan. Etwa zehn Meilen nach dem befestigten Teil der Straße kreuzt der Stampede Trail den Teklanika River, einen reißenden, eiskalten Fluß, der weißlichen Glazialschutt mit sich führt. Gleich stromabwärts von der Stelle, an der der Trail auf das Flußufer stößt, liegt
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