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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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wird die Nation Bill Clinton zum Präsidenten wählen. Der Leichenfund in Alaska ist inzwischen knapp zwei Monate her.
    »Alex' Lieblingsgetränk«, sagt Westerberg mit einem Stirnrunzeln und rührt im Eis seines White Russian. »Er hat immer genau dort am Ende der Theke gesessen und uns diese unglaublichen Geschichten von seinen Reisen erzählt. Oft stundenlang. Viele hier im Dorf haben den guten Jungen irgendwann richtig ins Herz geschlossen gehabt. Ganz schön hart, was da mit ihm passiert ist.«
    Westerberg, ein breitschultriger Mann mit schwarzem Ziegenbart, der unter gelegentlichen Zuckungen leidet, ist Besitzer zweier Getreidesilos, das eine in Carthage, das zweite ein paar Meilen außerhalb der Stadt. Zu Beginn jeden Sommers trommelt er jedoch eine Erntekolonne zusammen und fährt mit ihr nach Texas hinunter. Von dort aus folgen sie der Ernte mit ihren Mähdreschern bis an die kanadische Grenze hoch. Im Herbst 1990 war er im Norden Montanas und erntete die Hopfenfelder von Coors und Anheuser - Busch ab, der letzte Auftrag der Saison. Am Nachmittag des 10. September, als er gerade Cut Bank verließ, wo er Ersatzteile für einen defekten Mähdrescher gekauft hatte, nahm er einen Tramper mit, einen liebenswürdigen Jungen, der sagte, er heiße Alex McCandless.
    McCandless war eher klein von Gestalt und hatte den knochigen, sehnigen Körperbau eines Wanderarbeiters. Er hatte markante Augen. Dunkel und gefühlvoll verwiesen sie auf exotisches Blut in seiner Ahnenreihe - griechisch vielleicht oder chippewa - indianisch. Die Verletzlichkeit in diesen Augen berührte Westerberg, und er beschloß, Alex unter seine Fittiche zu nehmen. Der Junge hatte dieses feinfühlige, sensible Aussehen, um das die Frauen immer so ein Theater machen, dachte Westerberg bei sich. Auffällig waren auch seine Gesichtszüge, die von einer seltsamen Geschmeidigkeit waren: eben noch träge und ausdruckslos, verwandelten sie sich im nächsten Moment in ein breites, entstellendes Grinsen, unter dem ein riesiges Pferdegebiß zum Vorschein kam. Er war kurzsichtig und trug eine Brille mit Metallgestell. Er sah hungrig aus.
    Zehn Minuten nachdem er McCandless aufgesammelt hatte, hielt Westerberg in dem kleinen Ethridge, um bei einem Freund ein Paket abzugeben. »Mein Freund hat uns beiden ein Bier angeboten«, erzählt Westerberg, »und dann hat er Alex gefragt, wann er denn das letzte Mal was gegessen hätte. Alex mußte zugeben, daß das schon ein paar Tage her war und daß ihm irgendwie das Geld ausgegangen ist.« Die Frau des Freundes bekam dies zufällig mit und bestand darauf, Alex ein richtiges Abendessen zu kochen, das er dann auch prompt verschlang. Kurz darauf fielen ihm die Augen zu, und er schlief am Tisch ein.
    McCandless hatte Westerberg erzählt, daß er nach Saco Hot Springs wolle, zweihundertvierzig Meilen östlich des U.S. Highway 2. Ein paar »Gummi - Tramps« (Travelers, die mit dem Wagen unterwegs sind; im Unterschied zu den »Leder - Tramps«, die nur ihre Schuhsohlen haben und gezwungen sind, per Anhalter zu reisen oder zu Fuß zu gehen) hätten ihm von dem Ort erzählt. Westerberg hatte dem Jungen daraufhin erklärt, daß er ihn nur noch zehn Meilen mitnehmen könne. Dann müsse er die Abbiegung nach Norden nehmen, Richtung Sunburst. Dort, an einem Getreidefeld, das er gerade aberntete, stehe sein Wohnwagen. Als Westerberg schließlich an den Straßenrand fuhr, um McCandless aussteigen zu lassen, war es bereits halb elf. Es hatte fürchterlich zu regnen begonnen.
    »Mann«, sagte Westerberg, »ich kann dich doch hier unmöglich rauswerfen, bei dem, was da runterkommt.
    Du hast doch 'nen Schlafsack - komm doch einfach mit nach Sunburst. Du kannst bei mir im Wohnwagen pennen.«
    McCandless blieb drei Tage bei Westerberg, fuhr jeden Morgen mit der Crew aufs Feld hinaus und sah den Jungs dabei zu, wie sie ihre rumpelnden Mähdrescher durch das weite, reife Getreidemeer manövrierten. Als sich dann McCandless' und Westerbergs Wege wieder trennten, sagte Westerberg ihm, daß er jederzeit bei ihm in Carthage vorbeischauen kann, falls er mal einen Job braucht.
    »Keine zwei Wochen später tauchte Alex hier auf«, erinnert sich Westerberg. Er gab McCandless einen Job im Getreidesilo und vermietete ihm zum Freundschaftspreis ein Zimmer in einem seiner beiden Häuser.
    »Ich hab über die Jahre 'ner Menge Anhalter Jobs gegeben«, sagt Westerberg. »Die meisten waren nicht viel wert, hatten keine richtige Lust zum Arbeiten. Alex war

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