In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Verstorbenen ihre Familien besuchen. Mit diesen bunten Zuckertotenschädeln und all dem schrillen Zeug.« Sie drückte ihren Zigarettenstummel im Aschenbecher aus und umschloss ihre Tasse mit beiden Händen. »Ob du’s jetzt glaubst oder nicht – ich hab Halloween nie gemocht. Ich bin sonst für jeden Spaß zu haben und immer vorne mit dabei, wenn’s irgendwo eine Party gibt – aber an Halloween verkriech ich mich in meinen vier Wänden. Ich hab nichts gegen die Kostüme, gegen die Streiche der Kids, gegen dieses So-tun-als-ob, das ist schon okay. Aber für mich hat diese Nacht etwas Unheimliches, Ungutes. Da ist eine gewaltige, finstere Macht am Werk.« Schwach lächelte sie mich an. »Ich bin echt kein Angsthase, aber Halloween lässt es mir kalt den Rücken runterlaufen. Diese Nacht übersteh ich immer nur eingekuschelt in meinem Bett, mit viel Tee, einer Schachtel Pralinen und einem rosaroten Wohlfühlbuch, auf dessen Seiten alles zuckersüß und watteweich ist und rein gar nichts Schlimmes passiert.«
Nachdenklich ließ ich meinen Blick über die verschiedenfarbigen Rückseiten der anderen Häuser mit ihren Feuerleitern schweifen. »Du kannst es dir also auch vorstellen, dass Nathaniel und ich da …« Ich brach ab und kaute stattdessen auf meiner Unterlippe herum, und unter Hollys prüfendem Blick begannen meine Wangen zu glühen.
»Klar kann ich mir das vorstellen, Herzchen. Mir macht nur Sorgen, was ich in deinem Gesicht zu diesem Thema lese und was ich in deinen Augen erkennen kann. Ich weiß nur zu gut, wie es ist, wenn einem ein toller Typ die Sicherungen durchbrennen lässt und man nur noch an Sex denkt.« Meine Wangen wurden noch heißer. »Aber genauso gut weiß ich auch, dass es scharfe Typen gibt, von denen man besser die Finger lässt, weil man sie sich zwangsläufig an ihnen verbrennt.«
»Nathaniel ist nicht böse«, flüsterte ich.
»Das meine ich damit nicht mal.« Holly zündete sich eine neue Zigarette an. »Du hast keine Ahnung, was passieren kann, wenn du ihm in dieser Nacht körperlich nahe kommst.«
Mein ganzes Gesicht stand in Flammen. »Ich bin aufgeklärt, danke«, schnappte ich zurück.
Holly sah mich durch den Rauch ihrer Zigarette hindurch an, und zum ersten Mal, seit ich sie kannte, wirkte sie todernst und viel älter als sechsundzwanzig; wie eine uralte, weise Frau, eine Seherin sah sie in diesem Moment aus. »Du denkst falsch. Ich rede nicht davon, dass er dir ein Kind macht, und auch nicht von kontaminierten Körperflüssigkeiten. Er mag sich für dich in dieser Nacht vielleicht lebendig anfühlen, aber er wird es nicht sein, das ist unmöglich. Er ist, was er ist: ein Wesen aus purer, konzentrierter Energie. Wenn diese Energie sich noch weiter verdichtet und mit deiner lebendigen Seelenenergie zusammentrifft – puh.« Energisch blies sie den Rauch aus. »So was bleibt nicht ohne Folgen, für keinen von euch.«
Bockig starrte ich zum Fenster hinaus.
»Lass die Finger davon«, hörte ich Holly leise sagen. »Lass es einfach und nimm den Footballspieler. Shane ist ein feiner Kerl, und wenn ich mir so anschaue, was für Hände er hat und wie er sich bewegt, dann wirst du mit ihm ein erstes Mal erleben, wie es nur ganz wenigen Mädchen vergönnt ist.«
Ich hatte keine Ahnung, woher Holly wissen konnte, dass ich das erste Mal noch vor mir hatte, und halb beschämt, halb wütend setzte ich zu einer bissigen Erwiderung an, aber das klatschende Geräusch von Flipflops, ein lautes Gähnen und das Aufgehen der Kühlschranktür lenkte mich ab.
Neugierig auf Hollys nächtlichen Besucher beugte ich mich vor und musterte die schwarzen Flipflops und die spindeldürren, spärlich behaarten Beine darüber; hinter der Kühlschranktür hörte ich es zischen, dann gluckern, und als sie wieder zufiel, sackte mir die Kinnlade herunter.
Nur mit einer riesigen Boxershorts bekleidet, die tief auf den scharfkantigen Hüftknochen hing und auf deren orangefarbenem Untergrund Pinguine tanzten, stand Matt in der Küche. Den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken gelegt, trank er so gierig aus seiner Colaflasche, als hätte er soeben die Mojave-Wüste durchquert. Seine zerwühlten Haare waren blau. Leuchtdiodenblau. So blau wie ein radioaktiver Schlumpf. Und an seinem Hals prangte ein deutlich sichtbarer Knutschfleck.
»Morgen, Honey«, säuselte Holly neben mir. »Willst du dich nicht zu Amber und mir setzen?«
Matts Augendeckel klappten auf; den Mund voll mit Cola, fuhr sein Kopf zu mir
Weitere Kostenlose Bücher