In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Jobbte Matt hier nur, wenn er gerade Bock hatte, oder wie? Der Chinese, bei dem kein anderer Akzent zu hören war als der San Franciscos, zwinkerte mir zu. »Wir fragen mal die Chefin, die muss es schließlich wissen.«
Ich folgte ihm durch die kunterbunte Mischung aus Asia-Kitsch, Kunst und Kram aus Fernost zur Kasse, einem ausladenden antiken Tisch mit einer Platte und Seitenwänden aus Glas, in dem sehr teuer aussehende Schmuckstücke auslagen. »Betsy!«
Eine Chinesin mit lackschwarz glänzendem Haarknoten, die gerade für ein Touristenpärchen ein mehrseitiges Dokument ausfüllte, hob den Kopf. An ihren Ohren baumelten lange und üppig verschnörkelte Ohrhänger aus Silber. Sie war vielleicht so um die vierzig, sicher nicht größer als Abby, zierlich und ziemlich hübsch; die scharlachrote Seidenbluse mit den schwarzen Drachen darauf stand ihr sehr gut, genauso wie das tolle Make-up mit dem breiten, geschwungenen Lidstrich.
»Die junge Lady hier«, der Chinese deutete mit der flachen Hand auf mich, »ist auf der Suche nach Matthew. Weißt du, wo unser Junior gerade wieder steckt?«
Meine Brauen rutschten bis ganz hoch und ich schaute verblüfft zwischen ihnen hin und her. Das waren Matts Eltern?
Betsy – demnach Mrs Chang – schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Er hat bei einem Freund übernachtet, ich hab ihn heute noch gar nicht gesehen. – Hast du seine Handynummer?«, fügte sie in perfektem Oxford-Englisch hinzu.
»Ja, die hab ich. Danke«, sprudelte ich schnell hervor, nickte den beiden zu und schlängelte mich durch den bunt gemixten Asia-Overload wieder nach draußen, wo ich kopfschüttelnd in mich hineingrinste.
»Hast du Besuch?«, flüsterte ich erschrocken, als Holly mit einem herzhaften Gähnen die Tür öffnete. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war nämlich zum ersten Mal, seit ich hierherkam, zugezogen, und dahinter glaubte ich leise Schnarchlaute zu hören. Männliche.
»Sozusagen«, gab Holly mit einem weiteren Gähnen zur Antwort, wuschelte sich durch die lilafarbenen Haare, die teils abstanden, teils platt gedrückt waren, und tapste barfuß in die Küche.
»Sorry«, murmelte ich betreten. Mit Holly zu reden, schien mir die zweitbeste Alternative nach Matt zu sein, und da ihr Laden noch nicht geöffnet gewesen war, hatte ich einfach am Eingang um die Ecke auf die mit H. Kowalski beschriftete Türklingel gedrückt. Durch die Sprechanlange hatte sie zwar ein bisschen verschlafen geklungen, aber gesagt, ich solle raufkommen.
»Ach was«, widersprach sie, winkte ab und reckte sich so weit nach der Kaffeedose im Regal hinauf, dass das übergroße, löchrige Greenpeace-T-Shirt hochrutschte und ihren perfekten Po in einem spitzengesäumten Slip mit Tigermuster enthüllte. »Der pennt erst mal tief und fest. Ist glaub ganz schön geschafft von letzter Nacht.« Die Zungenspitze keck in den Mundwinkel geklemmt, zwinkerte sie mir über die Schulter hinweg zu. »Auch einen Kaffee für dich, Cutie Pie? Und dann erzählst du mir, was du auf dem Herzen hast.«
»Puuuhhh«, machte Holly neben mir auf dem Fensterbrett und blies den Rauch aus dem geöffneten Fenster. »Heftige Geschichte.«
Ich nickte und rubbelte mit der Spitze meines Sneakers an der Kante des Spülschranks vor mir entlang. »Was würdest du tun an meiner Stelle?«
»Musst du dich denn entscheiden?« Holly zwinkerte mir über den Rand ihrer geblümten Uromatasse hinweg zu. »Ist doch perfekt: den Seelenverwandten fürs Herz und den leckeren Muskelprotz fürs Bett. So einen tollen Doppelwhopper kriegst du sicher nie wieder vom Leben vor die Füße gelegt!«
Ich gluckste in mich hinein. »Das meinte ich doch gar nicht. Mir ging’s um Halloween.«
»Tja«, Holly schnickte die Asche in den Innenhof hinunter, »wenn ich ehrlich bin, hab ich noch nie etwas davon gehört, dass verlorene Seelen da wieder greifbare Gestalt annehmen. Was natürlich nichts heißen muss, ich bin mir sicher, dass es noch sehr, sehr viel mehr über das Leben und den Tod und die Dinge dazwischen gibt, von denen wir nichts wissen. Es würde für mich trotzdem absolut Sinn machen, dass in dieser Nacht so was möglich ist. Eigentlich ist ja Allerseelen einen Tag später der Tag der Toten, aber ich kenne es eben auch so, dass man am ersten November besonders an die Verstorbenen denkt. Totentag , hat meine Grandma ihn immer genannt. Und die Mexikaner und andere Latinos feiern ja genau an diesen Tagen ihren Día de los Muertos , an dem die Seelen der
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