In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Identität als Halbamerikanerin .
»An Halloween?«, brachte ich nur krächzend heraus, und als Nathaniel nickte, setzte ich hinzu: »Und da werde ich dich spüren können? So richtig? Als ob du noch am Leben wärst?«
Er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Ich weiß es nicht.«
Ich sah ihn an, wie er vor mir stand, in seinem grauen Hemd und die Hände in den Taschen seiner altmodischen Hose. Wie er den Kopf leicht gesenkt hielt und unter den Locken, die ihm in die Stirn fielen, zu mir hinspähte. Abwartend war der Ausdruck auf seinem Gesicht, beinahe scheu, und in seinen Augen konnte ich lesen, wie sehr ich ihn verletzt hatte, aber auch so etwas wie Hoffnung.
Schließlich rieb ich mir mit den Handrücken über das nasse Gesicht, obwohl ständig neue Tränen nachströmten, wischte sie an meiner Pyjamahose notdürftig trocken und streckte die Hände nach Nathaniel aus. Er zögerte, dann kam er langsam auf mich zu, und als seine Fingerspitzen meine berührten, dieser Funkenschauder durch meine Hände flirrte, huschte ein kleines, wackliges Lächeln über mein Gesicht.
Nathaniel kniete sich neben mich hin und legte die Arme um mich; ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, mein Gesicht an seine Brust zu drücken, die fest war, vielleicht ein bisschen hart. Die sich bei jedem Atemzug hob und senkte und in der ein Herz gleichmäßig schlug. Für mich schlug.
Vielleicht würde es an Halloween wahr werden, in dieser unruhigen, unheimlichen und ganz besonderen Nacht des Jahres. Eine kleine, schwache Hoffnung, an die ich mich umso fester klammerte. Wir mussten es wagen, es war das Einzige, was uns blieb, bevor uns das, was wir zusammen hatten, durch die Finger stob wie ein Herbststurm.
Weil ich ein schwaches Menschenkind war mit hungrigen Sinnen und Sehnsucht im Leib und er ein Wesen aus Dunst und Nebel.
61
Die Hände tief in den Taschen meiner Jeans, lungerte ich jetzt bestimmt schon eine Viertelstunde vor den Schaufenstern des China Bazaar mit seiner Eistorten-Fassade in Grün, Gelb und Pink herum und traute mich nicht hinein. Dabei hatte ich es heute Morgen noch für eine total gute Idee gehalten, nach meiner Sitzung bei Dr. Katz kurz nach Chinatown rüberzugehen und nachzusehen, ob Matt vielleicht den Rest der Ferien damit verbrachte, hier zu jobben.
Er hatte sich zwar vor ein paar Tagen mit einer SMS von seinem IT -Kurs in Berkeley zurückgemeldet, aber gesehen hatte ich ihn seither noch nicht. Die Handvoll Nachrichten und die zwei extrem kurzen Telefonate seitdem waren komisch gewesen, als ob er schwer beschäftigt war momentan und auch ein bisschen seltsam drauf. Aufgekratzt hatte er irgendwie geklungen, keine Ahnung, was mit ihm los war. Seit gestern sprang auch nur die Mailbox an, wenn ich ihn anrief, und zwar ohne dass er mich zurückgerufen oder mal kurz gesimst hätte.
Zum wiederholten Mal spähte ich durch die vollgestopften Auslagen hindurch ins Ladeninnere, über eine Reihe Kartons mit Zellophanfenstern hinweg, in denen Plastikbuddhas in Pink, Giftgrün und Lagunenblau im Lotussitz hockten, und zwischen Metallständern hindurch, von denen der eine alles an Haargummis und Spangen anbot, was das Kleinmädchenherz an Pink, Glitzer, Herzchen, Kätzchen, Röschen und Pünktchen begehrte, und der andere mit diesen Aloha-Ketten aus Stoffblüten in wirklich allen denkbaren Farben vollgehängt war. Matt jedoch konnte ich nirgends entdecken.
Ich gab mir einen Ruck, trat ein und sah mich zwischen den anderen Touristen um, die nach Drachen, Buddhas und Lampions, nach bemalten Essstäbchen, perlenbestickten Kosmetiktäschchen und passenden Brillenetuis als Mitbringsel stöberten, stellte mich schließlich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals.
»Verzeihung – Miss?« Ich drehte mich um und schaute in das freundliche Gesicht eines Chinesen, nicht mehr ganz jung, noch nicht alt, die ersten Linien im eckigen Gesicht und das erste Grau im gepflegten Haarschnitt. In einem langärmligen tannengrünen Polohemd, Edeljeans und Lederloafers sah er mich über einen Karton voller Jadefigürchen hinweg an, die er aus dicken Schichten von Verpackungsmaterial befreite. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Äähmm«, begann ich zögerlich. »Ja, vielleicht. Arbeitet Matt Chang heute hier? Ich bin eine Freundin von ihm.«
Er verzog das Gesicht. »Oh, ich weiß leider nicht, ob er heute noch mal reinkommt. Ich hab ihn zumindest den ganzen Morgen noch nicht gesehen.« Ich hob die Brauen.
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