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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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gehörte jemand, der voriges Jahr gefallen ist.»
    «Tut mir schrecklich leid.»
    «Er war sehr nett. Er wollte mich heiraten, und er fiel an der Somme.»
    «Grauenhaft ging's da zu.»
    «Waren Sie dabei?»
    «Nein.»
    «Ich hab davon gehört», sagte sie. «Hier unten gibt es eigentlich keinen derartigen Krieg. Man hat mir den kleinen Stock geschickt. Seine Mutter schickte ihn mir. Sie schickten ihn mit seinen Sachen zurück.»
    «Waren Sie lange verlobt?»
    «Acht Jahre. Wir sind zusammen aufgewachsen.»
    «Und warum haben Sie nicht geheiratet?»
    «Ich weiß nicht», sagte sie. «Es war sehr dumm von mir. Das hätte ich ihm wenigstens geben können. Aber ich glaubte, es wäre schlecht für ihn.»
    «Hm.»
    «Haben Sie jemals jemanden geliebt?»
    «Nein», sagte ich.
    Wir setzten uns auf eine Bank, und ich sah sie an.
    «Sie haben wunderbares Haar», sagte ich.
    «Gefällt es Ihnen?»
    «Sehr.»
    «Ich wollte es alles abschneiden, als er fiel.»
    «Nein!»
    «Ich wollte etwas für ihn tun. Sehen Sie, das andere sagte mir gar nichts, und er hätte das alles haben können. Er hätte von mir haben können, was er wollte, wenn ich gewußt hätte. Ich hätte ihn geheiratet, oder auch so. Jetzt weiß ich alles darüber. Aber damals wollte er in den Krieg, und ich wußte von nichts.»
    Ich sagte nichts.
    «Ich wußte damals von gar nichts. Ich dachte, es würde schlimmer für ihn sein. Ich dachte, daß er es vielleicht nicht aushalten würde, und dann fiel er natürlich und damit war's aus.»
    «Ich weiß nicht.»
    «O ja», sagte sie. «Damit ist es aus.»
    Wir sahen hinüber zu Rinaldi, der sich mit der anderen Schwester unterhielt.
    «Wie heißt sie?»
    «Ferguson. Helen Ferguson. Ihr Freund ist Arzt, nicht wahr?»
    «Ja. Ein sehr guter.»
    «Das ist großartig. Man findet selten jemand so weit vorn an der Front, der wirklich was kann. Dies ist vorn, nicht wahr?»
    «Ziemlich.»
    «Es ist eine dämliche Front», sagte sie. «Aber es ist wunderschön hier. Kommt eine Offensive?»
    «Ja.»
    «Dann gibt's wieder Arbeit. Jetzt ist nichts zu tun.»
    «Pflegen Sie schon lange?»
    «Seit Ende fünfzehn. Ich fing zur selben Zeit an wie er. Ich erinnere mich, daß ich die dumme Idee hatte, daß er in das Lazarett kommen könnte, in dem ich war. Mit einem Säbelhieb wahrscheinlich und einem Kopfverband. Oder durch die Schulter geschossen. Irgendwas Malerisches.»
    «Dies ist die malerische Front», sagte ich.
    «Ja», sagte sie. «Die Leute hier können sich nicht vorstellen, wie es in Frankreich vorgeht. Wenn sie's könnten, würde es nicht so weitergehen. Er hatte keinen Säbelhieb. Eine Granate zerfetzte ihn.»
    Ich sagte nichts.
    «Glauben Sie, daß es immer so weitergehen wird?»
    «Nein.»
    «Wodurch soll es aufhören?»
    «Irgendwo wird's zum Zusammenbruch kommen.»
    «Wir werden zusammenbrechen. Wir werden in Frankreich zusammenbrechen. Sie können doch nicht weiter Sachen wie die Somme machen und nicht zusammenbrechen.»
    «Hier werden sie nicht zusammenbrechen», sagte ich.
    «Glauben Sie nicht?»
    «Nein, letzten Sommer ging's doch hier sehr gut.»
    «Sie können zusammenbrechen», sagte sie. «Jeder kann zusammenbrechen.»
    «Auch die Deutschen.»
    «Nein», sagte sie.»Ich glaube nicht.»
    Wir gingen zu Rinaldi und Miss Ferguson hinüber.
    «Lieben Sie Italien?» fragte Rinaldi Miss Ferguson auf englisch.
    «Es geht.»
    «Nicht versteh.» Rinaldi schüttelte den Kopf.
    «Abbastanza bene», übersetzte ich. Er schüttelte den Kopf.
    «Das ist nicht viel. Lieben Sie England?»
    «Nicht besonders. Sehen Sie, ich bin Schottin.»
    Rinaldi sah mich verständnislos an.
    «Sie ist Schottin und liebt deshalb Schottland me hr als England», sagte ich auf italienisch.
    «Aber Schottland ist doch dasselbe wie England.»
    Ich übersetzte dies für Miss Ferguson.
    «Pas encore», sagte Miss Ferguson.
    «Wirklich nicht?»
    «Niemals. Wir lieben die Engländer nicht.»
    «Die Engländer nicht lieben? Miss Barkley nicht lieben?»
    «Oh, das ist was anderes. Sie hat ja auch schottisches Blut. Sie müssen nicht alles so wörtlich nehmen.»
    Kurz darauf sagten wir gute Nacht und brachen auf. Auf dem Heimweg sagte Rinaldi : «Miss Barkley mag dich lieber als mich. Das ist ganz klar. Aber die kleine Schottin ist sehr nett.»
    «Sehr», sagte ich. Sie war mir nicht aufgefallen. «Magst du sie?»
    «Nein», sagte Rinaldi.

05
    Am nächsten Nachmittag ging ich wieder Miss Barkley besuchen. Sie war nicht im Garten, und ich ging zum

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