Dr. Gordon verliebt
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ES IST eine in der Medizin wohlbekannte Tatsache, daß Ärzte entweder Krankenschwestern, Ärztinnen oder BarMädchen heiraten. Diese sind während der für Heiraten bevorzugten Jahre die einzigen weiblichen Wesen, mit denen sie Zusammenkommen. In einem Alter, da sich die Phantasie junger Männer zum erstenmal an den Gedanken der Ehe heranwagt, sind ja die Mediziner überhaupt nicht imstande zu heiraten, weil sie noch immer an ein elterliches Taschengeld gebunden sind. Einen schwachen Trost schenkt lediglich die Überlegung, daß die Jungen um so länger von den Eltern abhängen, je höhere Entwicklungsstufen sie erklimmen — womit bewiesen ist, daß Medizinstudenten die höchste Form animalischen Lebens darstellen, die der Wissenschaft bekannt ist.
Befanden sich auch unter meinen Kollegen im St.-Swithin-Spital einige abgehetzte junge Männer, die bei den Vorlesungen gleichermaßen mit Kollegheften und mit Päckchen voll Kohlsprossen und Seifenflocken ausgerüstet erschienen, so ist ein verheirateter Medizinstudent dennoch fast ebenso ein Ding der Unmöglichkeit wie ein verheirateter Pfadfinder. Doch dann wirkt das Ärztediplom wie ein Zauberstab sowohl auf sein Gefühlsleben wie auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Dem unqualifizierten Windbeutel bleibt nur die Wahl zwischen unehrenhaften Absichten und gar keinen Absichten; doch nach erfolgreich bestandenem Schlußexamen blitzen rund um das Schwesternheim die Verlobungsringe so munter auf wie ein sommerlicher Sternenhimmel, und käme den medizinischen Kollegien zu Bewußtsein, wie viele Verbindungen durch ihre Prüfungskommissionen ins Leben gerufen wurden, es würde ihnen angst und bange.
Der erste meiner Gefährten, der im Hafen der Ehe landete, war Tony Benskin; er heiratete eine Nachtschwester. Dies war um so verständlicher, da er einst während des Nachtchenstes sämtlichen Schwestern die Ehe angeboten hatte, um einen in der Hitze der Leidenschaft etwas übereilten Heiratsantrag hinfällig zu machen, den er ein paar Stunden vorher einem Mädchen gestellt hatte. Fast zwei Jahre waren vergangen, als ich ihn wiedersah, denn die Mediziner tauschen am Abschluß ihres Lehrganges, ähnlich den Passagieren am Ende einer Schifisreise, ihre Adressen zwar voll herzlicher Gefühle, aber ohne ernstliche Absichten aus. Eines Sommerabends lief ich ihm in den Gängen St. Swithins über den Weg; ich gehöre noch immer dem Stab der jungen Anstaltsärzte an.
«Tony!» rief ich. Ich blickte ihn besorgt an. Sein Gesicht war bleich und unrasiert, seine Augen wild und blutunterlaufen, Haar und Krawatte in Unordnung. «Tony! Um Himmels willen, was ist los?»
«Hallo, Richard», sagte er geistesabwesend. «Gestern abend hab ich Molly ins Spital gebracht.»
«Oh, du armer Kerl! Ein Unfall?»
«Aber wo, kein Unfall! Mit voller Absicht.»
«Meinst du damit... Ach so! Sie kriegt ein Baby?»
«Wie — hast du denn das nicht gewußt?» Sein Tonfall ließ erkennen, daß es sich um eine Angelegenheit von universeller Bedeutung handelte.
«Nein, leider ist diese Neuigkeit nicht bis zu mir vorgedrungen. Sie befindet sich also in der zärtlichen Obhut der Abteilung für Geburtshilfe? Da kannst du doch ganz unbesorgt sein.»
«Unbesorgt sein! Was verstehst du schon davon? Du hast doch noch nie ein Baby gekriegt.»
«Aber ihre Schwangerschaft ist doch hoffentlich normal verlaufen?»
«O ja, die Schwangerschaft war ganz normal, bis zum letzten Molekül Hämoglobin. Aber stell dir nur vor, was jetzt noch alles schiefgehen kann! Eine Steißlage wäre noch lange nicht das schlimmste. Da gibt’s ja auch noch eine hartnäckige Hinterhauptslage oder Querlage, oder eine placenta praevia oder einen vorfallenden Nabelstrang. Auch ein Kaiserschnitt und dergleichen wären möglich... Erinnerst du dich an alle diese gräßlichen Abbildungen in den Geburtshilfebüchern?» Trostlos wühlte er mit den Händen in den Hosentaschen. «Es ist zum Verzweifeln, findest du nicht?»
Angesichts seiner Verfassung, die ebenso wie seine Erscheinung aus den Fugen geraten war, legte ich ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.
«Erinnere dich lieber an all die Frauen, die zu jeder Minute des Tages Babys kriegen. Molly wird jetzt, angenehm von Pethedin eingeduselt, daliegen, und die gute alte Schwester Studholme wird ihr sagen: »
«Aber das ist ja das Schreckliche!» Tony sah ängstlicher denn je aus. «Ich hab sie mitten in der Nacht von
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