In einer Familie
Anna Grubeck bekannt
wurde, machte all diesem Spuk ein Ende. Es war, als
breitete sich, von ihr ausgehend, Klarheit und Friede
über seine Stimmungen aus. Täglich merkte er deut-
licher, daß ihr Einfluß das Leben seiner Gedanken
und Gefühle völlig erneuere. Bei dem Klange ihrer
ruhigen Altstimme, in der so gut ihr stil heiteres We-
sen zum Ausdruck kam, wurde er al mählich ein an-
derer. Zuweilen überkam ihn, wenn sie sprach, eine
träumerische Müdigkeit, während welcher einzelne
Worte oder Bilder aus seiner Kinderzeit in seiner Er-
innerung emportauchten. Oder er konnte sie in eine
harmlose Luftigkeit mit hineinreißen, ebenfalls wie
ein Kind.
So genas er und hatte nur den Wunsch, die süße
Rekonvaleszentenstimmung lange, lange hinauszu-
dehnen, ohne einen Gedanken an die Zukunft.
Trotzdem war es heute, fast wider seinen Willen, zur
Aussprache gekommen. In das trauliche Wohlbeha-
gen dieses Nachmittags hatte sich ihm plötzlich die
Furcht vor der Möglichkeit gemischt, dem jetzigen
Zustande ein Ende gemacht zu sehen, und ohne Zö-
gern hatte er seinem Drange, das Verhältnis für im-
mer zu befestigen, nachgegeben. Sonst langsam und
unlustig, einen Entschluß zu fassen, sah er in seinem
heutigen schnellen, kräftigen Impuls die beste Bürg-
schaft dafür, daß er recht gethan.
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Als der Major, welcher das längere Schweigen mit
eingehender Beobachtung der Beleuchtungseffekte
in der Landschaft ausfüllte, wieder einmal stehen
blieb, brach Wellkamp eine der Alpenrosen, die in
dieser Höhe unmittelbar am Seeufer wuchsen, und
überreichte sie seiner Braut. Er hatte ausdrücken
wollen, daß er in der Blume ein Symbol für ihre Ver-
bindung erblicke, aber er fürchtete, daß es gespro-
chen eine Banalität sein könnte.
Anna dankte ihm freudig lächelnd, und damit war
die Stille, in der jedes seinen Betrachtungen nachge-
hangen, gebrochen. Der Major erinnerte an den
Aufbruch.
Einmal wieder auf der Fahrt, blieb mit der Träu-
mereien erzeugenden abendlichen Uferlandschaft
auch die Stimmung der vergangenen Stunde zurück.
Alle drei begannen, völlig ermuntert, an die Zu-
kunft, die ihnen winkte, heranzutreten. Es wurden
mit Eifer Pläne geschmiedet. Natürlich wünschte
das junge Mädchen, um dem Vater nahe zu bleiben,
in Dresden Wohnung zu nehmen, und Wellkamp
stimmte ihr bei.
»Ich kann mir«, sagte er, »für eine junge Ehe kei-
nen geeigneteren Aufenthalt denken, als diese stille
und elegante Stadt. Alles wird uns dort mehr Beha-
gen und Vertraulichkeit bieten, als in dem Getriebe
eines regen Verkehrsplatzes zu finden sein würde –
ohne daß wir dabei die Vorzüge eines solchen zu ent-
behren hätten.«
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»Du kennst Dresden?«
Anna sprach das »Du« bereits ruhig und geläufig
aus, wie wir wohl jemand laut einen Namen geben,
mit dem wir ihn in unsern Gedanken seit langem be-
nannt haben.
»Wenige Wochen, wie überal , habe ich mich auch
dort aufgehalten«, entgegnete ihr Verlobter. »Wenn
die Plätze, an denen wir vorübergehen, uns verraten
wollten, unter welchen Bedingungen wir zu ihnen
zurückkehren werden! Ich hätte dann eine deut-
lichere Erinnerung an die Stadt. Was meinst Du aber
zu einer Wohnung am Bismarck-Platz?«
»Nicht wahr? Gerade wollte ich sagen, daß es
meine Lieblingsidee ist. Und dabei fast in Papas
Nachbarschaft.«
Der Blick des jungen Mädchens machte sich
eigentümlich zärtlich, als sie ihn, ohne ihr Plaudern
zu unterbrechen, ihrem Vater zuwandte.
Auch darin ward man sogleich einig, einen langen
Brautstand entbehrlich zu finden. Es standen einer
baldigen Verbindung durchaus keine Hindernisse
entgegen. Vorerst wurde die Abreise auf morgen
festgesetzt. Wellkamp erklärte, nur bis München
mitzureisen, wo ihn Geschäfte einige Tage zurück-
halten würden. Dafür aber sollte der heutige Abend
dem festlichen Anlaß entsprechend begangen wer-
den.
Der Major erklärte sich auf die Fragen der jungen
Leute mit allem einverstanden, indes war er nach
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und nach schweigsamer geworden. Er sah häufig
scharf in die dunkelnde Gegend hinaus, als studierte
er sie. Wenigstens mochte es sein Bemühen sein, dies
die andern glauben zu machen. Aber Anna be-
merkte, daß sein Blick unruhig abirrte. Sie legte ihm
in ihrer kindlichen Sorglichkeit den Mantel um, da
es kühler ward, und der Wagen sich Kreuth näherte,
wo der kalte Wind eingetreten sein mußte, der hier
jeden Morgen und jeden Abend mit der
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