In einer Familie
hast Du von Anfang an klar
und ehrlich vor Dir. – Man muß sich gegenseitig von
seiner Natur nichts verheimlichen können. – Und
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Papa, weißt Du, ist im Gegensatz zu ihr ein so einfa-
cher und offener Charakter –«
Sie war im Begriff, ihre Auseinandersetzung von
vorn zu beginnen, so verlegen war sie durch sein be-
harrliches Schweigen gemacht. Die letzten Sätze
hatte sie bereits zögernd gesprochen und nur, um
eine peinliche Pause zu vermeiden. Sie fürchtete, ihn
durch irgend eines ihrer Worte verletzt zu haben.
Endlich kam seine zerstreut klingende Zustimmung:
»Ja, gewiß.« Dann schwiegen beide.
Wellkamp hatte während der schlichten Erzäh-
lung seiner Braut an dem vagen Gefühl einer Be-
klemmung, die sich auf seine Brust legte, das Heran-
nahen einer neuen, noch unbekannten Gefahr zu ah-
nen gemeint. Er zitterte vor ihr um so mehr, als ihm
zu ihrer Überwindung auch der Anschluß an Anna
kein Vertrauen einflößte. Denn im Verlaufe ihrer
Auseinandersetzung, welche sein Interesse auf uner-
klärliche Weise erregt hatte, glaubte er zum ersten-
male eine Grenze ihrer Fähigkeiten bemerkt zu ha-
ben. Sie hatte so zuversichtlich, als sage sie etwas
selbstverständliches, davon gesprochen, daß man
einander, um das Glück einer Verbindung zu ermög-
lichen, nichts verheimlichen können dürfe: also
mußte sie wohl die Geheimnisse seines eigenen In-
nenlebens in ihrem Besitze glauben. Sie mußte ihn
zu kennen wähnen! Durch diese Beobachtung
schien ihm unvermutet eine eigentümliche Ironie ih-
res Verhältnisses aufgedeckt. Mochte er sie am Ende
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nur hineinlegen mit dem gewöhnlichen Hochmut
der vom Leben Mitgenommenen, an schlimmen Er-
fahrungen Reichen, die auf unschuldige und vertrau-
ensvolle Menschen, so sehr sie diese beneiden und
lieben mögen, im tiefsten Herzen doch immer ge-
wissermaßen herabblicken – jedenfalls war seine jet-
zige Empfindung nicht geeignet, ihn zuversicht-
licher zu stimmen.
Das unausgesprochene Mißbehagen, welches auf
diese Weise sich zwischen sie gelegt hatte, wurde
auch während der Bahnfahrt von Gmünd bis Mün-
chen nicht beseitigt. Sie redeten nur gleichgiltiges
mit einander, während Herr v. Grubeck sich auch im
Coupé eine Schlummerecke eingerichtet hatte. Als
er kurz vor der Einfahrt in die Halle geweckt wurde,
machte der alte Herr sich eifrig mit dem Gepäck zu
schaffen und umarmte sodann den Schwiegersohn
mit verhaltener Rührung, während er sich durch die
immer wiederholte Versicherung eines baldigen
Wiedersehens Trost zusprach.
Wellkamp geleitete Vater und Tochter an den für
Dresden bestimmten Zug, wo man eilig Abschied
nehmen mußte. Während die Verlobten sich die
Hände reichten, bemerkte eines in des andern Blick
das Bedauern über das unbestimmte Hindernis in
seinem Gefühl, welches den Abschied nicht so herz-
lich werden ließ, wie jedes von ihnen es wünschte.
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II
Die Angelegenheiten, welche ihn nach München ge-
führt, hielten Wellkamp dort länger zurück, als er
ursprünglich angenommen hatte. Die Verwaltung
seines nicht unbeträchtlichen mütterlichen Erbes,
um welche es sich auch jetzt handelte, war das ein-
zige Geschäft, das ihm seit seinem Fortgang aus der
Heimat oblag, und auch dieses hatte er in einer ihm
unter den nunmehrigen Verhältnissen selbst unbe-
greiflichen Weise vernachlässigt.
In den zwei Wochen, die seit ihrer Trennung ver-
strichen waren, hatten die Verlobten nur einmal
briefliche Grüße ausgetauscht. Aus ihrer kurzen
Mitteilung hatte Wellkamp, ohne daß sie es aus-
drücklich angab, herausgelesen, wie unbedeutend
seiner Braut die bei solchen Gelegenheiten übliche,
ausführliche Korrespondenz erschien, welche in-
folge der Unmöglichkeit, das Wesen des Schreibers
ohne Einschränkung oder Übertreibung auszudrük-
ken, über den Mangel persönlichen Verkehrs keines-
wegs hinweghelfen konnte.
Als er nach Ablauf dieser Zeit seine geschäftliche
Abhaltung unvermutet beendet sah, gab der junge
Mann dem Gelüste nach, unerwartet bei seinen
neuen Angehörigen zu erscheinen, und reiste, ohne
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sie vorher zu benachrichtigen, ab. Er traf am Abend
in Dresden ein.
Schon in früher Stunde machte er sich am näch-
sten Morgen auf, sich der Familie seiner Braut vor-
zustellen. Das Wiedersehen mit letzterer machte
ihm nach so kurzer Trennung mehr freudiges Herz-
klopfen, als er gehofft hätte. Es kam hinzu, daß ihn
die Ankunft in der Stadt,
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