In einer Familie
der modernen
Zeit. Gehörte er doch zu der wachsenden Zahl derer,
die ihr verletztes und unbefriedigtes Gefühl in der
heutigen Welt ihren Platz einzunehmen, unlustig
oder auch wohl untauglich macht. Dieses Gefühl lei-
tete am Ende ebenso wohl seine künstlerische Emp-
findung und sein religiöses Bedürfnis, wie es ande-
rerseits seine Lebensauffassung, ja seine politische
Parteinahme bestimmte.«
Aber ebenso wie die Liebesgeschichte sich in eine
sadomasochistische Episode wandelt und in Ab-
scheu, Haß und Rachegelüsten abbricht, hat Hein-
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rich Mann al e weltanschaulichen Richtungen, die er
hier aufzählt, nicht vermitteln können. Er verbleibt
mit ihnen in Widersprüchen, »untauglich« sie zu lö-
sen. Wellkamp bekennt sich – wie Heinrich Mann
selbst – zu dem wissenschaftlichen Indeterminis-
mus, daß »die letzten, entscheidenden Fragen immer
unlösbar bleiben werden«. Das ist gegen den Deter-
minismus und Positivismus der Naturalisten gerich-
tet und soll zugleich das »Bedürfnis der Seele« nach
»Religion« begründen. Allen diesen versuchten Po-
sitionen bleibt aber ein »Schicksals«begriff überge-
ordnet bzw. entgegengesetzt, der den ganzen Roman
in Poesie und Prosa durchzieht und in dem Ende
und »Schluß« gipfeln. Der Gedanke »Wir sind alle
gegen das Schicksal machtlos!« wird Wellkamp,
Dora und Anna gleichermaßen zugeteilt. Er wird als
»Glauben« bezeichnet, »daß es eine Schicksalsmacht
ist, die mit zufälligen oder doch für uns nicht zu un-
terscheidenden Mitteln uns hier wie überall zu dem
von ihr vorherbestimmten Ziele leitet«. Das Unver-
mittelte der disparaten Positionen spricht sich hier
deutlich aus. Auch ein lyrischer Erguß versöhnt
nichts:
»– Es duften süßer am Portal
Als je zuvor im Mai, Jasmin und Flieder; –
Und daß das Schicksal uns einander anbefahl,
Wir fühlen’s und wir sagen es uns wieder.«
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Der Neuromantiker unterliegt denn doch einem
metaphysischen Determinismus, der herrschenden
Doktrin des Naturalismus von Emile Zola bis Ger-
hart Hauptmann. Und nur so kann er Dora, die »ge-
fallene Frau«, am Ende als ein »Opfer« entschuldi-
gen.
Als Heinrich Mann als Fünfzigjähriger einer Neu-
ausgabe seines Erstlings zustimmte, hat er stilistisch
Weniges geglättet, an dem Gehalt aber nichts geän-
dert und sich mit einem »Sie werden nicht wieder-
kommen« von seinem »jungen Freund« brieflich
verabschiedet. Im Rückblick des Alters beurteilte er
diese von »Ullstein veranlaßte Bearbeitung der
zwanziger Jahre« mit: »Hat nichts geholfen.« (An
K. Lemke, 29. 1. 1947) Sein Bruder Thomas Mann
hingegen sprach kurz nach Abschluß von »In einer
Familie« zu einem Jugendfreund von Heinrichs »fei-
ner und reserviert vornehmen Sprache« und beson-
ders von »seiner eminenten Psychologie« (an Otto
Grautoff, 17. 5. 1895). Den Sechzigjährigen ehrte er
dann – nach dem Preußischen Kultusminister, Max
Liebermann und Gottfried Benn – durch die An-
sprache »Vom Beruf des deutschen Schriftstellers in
unserer Zeit« in der Berliner Akademie der Künste;
er erinnerte den Bruder an ihre gemeinsamen Tage in
Palestrina, als er selbst »Buddenbrooks« zu schrei-
ben begann: »Einen Familienroman übrigens hattest
auch du damals schon geschrieben: er hieß sogar ›In
einer Familie‹; er war Paul Bourget gewidmet, die
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studierte und delikate Psychologie des konservati-
ven Franzosen war sein Vorbild gewesen – wie denn
überhaupt deine konservative Periode in deiner Ju-
gend lag.« Das ist ein literarhistorisch gerechter
Rückblick, wenn er auch die ungemeine intellektu-
elle Energie außer Acht läßt, die der junge Heinrich
Mann aufwandte, sich ein eigentliches Weltbild auf-
zubauen. Daß er unter Anleitung Bourgets ansetzte,
sich in die Schule der französischen kritischen Ge-
sellschaftsromanciers zu begeben, jener eminenten
Reihe Choderlos de Laclos – Balzac – Stendhal -
Flaubert – Zola, sei hier nur angefügt.
Als Heinrich Mann dem Bruder zu dessen 70. Ge-
burtstag gratulierte, trug er etwas von den Mühen
seiner Anfänge nach: »Man weiß nicht, wieviel uner-
bittliche Verpflichtung ein Gezeichneter, der sein
Leben lang hervorbringen soll, als Jüngling überall-
hin und mit sich trägt. Es war schwerer, als ich mir
heute zurückrufen kann.«
Klaus Schröter
Inhalt
In einer Familie 7
Editorische Notiz und Anhang 301
Nachwort von Klaus Schröter 307
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