In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
still, Schlampe!
Als das Gewicht auf ihr ein wenig leichter wurde, ließ sie ihren Körper erschlaffen und erinnerte sich an ihren Selbstverteidigungskurs: Schlaff werden, keine Gegenwehr, auf eine Gelegenheit warten. Das Gewicht auf der Brust verlagerte sich zu einer Seite, da hob sie die Schulter und bäumte sich mit aller Kraft auf, um ihn von sich zu werfen, und die Augenbinde rutschte von ihrem Gesicht. Einen Moment lang sah sie ihm in die Augen. Ein Schnappschuss brannte sich in ihre Erinnerung ein. Dann war die Augenbinde wieder an Ort und Stelle und drückte so heftig auf ihre Augen, dass es sich anfühlte, als würden ihre Augäpfel platzen.
Aus der Ferne hörte sie leise Musik, fröhliche Menschen und das Pfeifen und Knallen von Feuerwerk. Ihre Mund wurde aufgezwängt, und kaltes Metall drückte sich an ihre Schläfe.
Klick.
1
Dienstag, 9. Februar 2010, 16:00 Uhr
»Hübsche Tapete.«
Stuart Bannon vom Maklerbüro West End drehte sich um und vergewisserte sich, dass Jim Innes die Äußerung ironisch meinte, ehe er ganz unprofessionell zustimmend die Augenbrauen hochzog.
Catriona Innes rümpfte die Nase. »Sie erinnert mich an …«
»An das Zeug, das du gestern beim Inder gegessen hast. Breiigen Panir?«
Sie lächelte den Makler an. »An den Humor meines Mannes muss man sich erst gewöhnen«, flötete sie.
»Und an die Tapeten in dieser Wohnung auch«, stimmte Bannon in einem seltenen Anflug von Ehrlichkeit zu. »In diesem Stockwerk hatte die Vorbesitzerin nie etwas geändert, daher sehen Sie hier die Originaleinrichtung. Ursprünglich war es die oberste Wohnung, deshalb die fantastische Aussicht. Der Dachboden wurde ausgebaut, weil sich dadurch noch zwei zusätzliche Zimmer schaffen ließen.«
»Hat die Vorbesitzerin vielleicht Drogen genommen?«, fragte Innes trocken. »Oder war sie blind?«
Stuart Bannon lachte. »Vielleicht blind, sie war immerhin neunzig Jahre alt.« Er stieß mit dem Absatz seiner Doc Martens auf den Teppich. »Aber die Dielen darunter sind stabil. Wenn Sie die abschleifen und neu wachsen …« Es war der richtige Moment, um sich zurückzuziehen und den beiden Zeit zum Nachdenken zu geben. Nummer 95 in der Clarence Avenue war unerwartet schwierig zu verkaufen, aber wenigstens waren diese beiden nicht nach fünf Minuten höflichem Sich-Umsehens gleich wieder hinausmarschiert, wie die letzten drei Paare. Und sie schauten sich die Wohnung sogar ernsthaft an.
Catriona Innes verschränkte die Arme und drehte sich langsam. »Dieses Zimmer gefällt mir, sogar mit der schrecklichen Tapete. So hell. In einem Neubau hat man nie so große Fenster. Und wir sollten es wissen; wir haben uns schon so viele angeguckt.«
»Das ist der Vorteil von diesen Wohnungen, die Zimmer sind unglaublich groß. In diesem Zimmer und im Wohnzimmer gibt es einen Kamin, und die hinteren Räume haben noch die originalen Simse, während in der Beschreibung steht, dass der Dachboden im skandinavischen Stil ausgebaut wurde. Sie haben die alten Balken integriert. Über den Ausbau wurde sogar in einem Architekturmagazin berichtet.«
»Trotzdem steht die Wohnung schon ziemlich lange zum Verkauf«, meinte Innes mit fragender Miene.
»Die Erben sind sich nicht einig geworden, deshalb wurde die Renovierung in diesem Stockwerk nicht durchgeführt. Ehrlich gesagt wird es als halbfertiges Projekt angeboten.« Bannon lächelte aufrichtig.
»Damit wollen Sie vermutlich sagen, dass wir ›das Beste zweier Welten‹ bekommen«, antwortete Jim.
»Arbeiten Sie in der Werbung?«, fragte Bannon lachend.
»Wie sind Sie nur darauf gekommen?«, erwiderte Catriona lächelnd. »Er könnte den Iren Guinness verkaufen.« Dann schob sie die Lippen leicht vor. »Diese nette Neunzigjährige … ist sie hier gestorben ?«
»Nein, im Krankenhaus, aber sie hat ein langes glückliches Leben geführt. Sie hat in dieser Wohnung mit ihrer Familie gewohnt. Der Testamentsvollstrecker will schnell verkaufen, deshalb ist der Preis fix – 275 000 £.«
»Kann man da noch etwas herunterhandeln?«
»Möglicherweise, so wie es momentan auf dem Markt aussieht.« Bannons Handy klingelte, das Trillern hallte durch den leeren Raum. »Entschuldigen Sie bitte, auf den Anruf habe ich schon gewartet. Bitte, sehen Sie sich weiter um, auch oben. Lassen Sie sich Zeit.«
Er verschwand draußen im Treppenhaus und hinterließ eine Wolke Paco Rabanne im Raum.
Catriona wartete, bis die Tür geschlossen war, ehe sie flüsterte: »Was hältst du
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