In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
Prolog
31. Dezember 1999
Emily Corbett schaltete das Fernlicht des Punto an, das in die weichen Nebelschwaden vor ihr strahlte. Zu beiden Seiten lagen die Hänge des flachen, kargen Hochmoors, doch sie sah nur Dunst und Dunkelheit.
Also fuhr sie langsamer. Achtzig war zu schnell für diese Straße, dieses Wetter, diese Zeit der Nacht. Ihr Blick wanderte zur Uhr am Armaturenbrett: 23:20. Sie würde es gerade noch nach Hause schaffen, ehe die Mitternachtsglocken den Beginn des neuen Millenniums verkündeten. Gähnend kämpfte sie gegen die Müdigkeit an und drehte Robbie Williams im CD -Player lauter. Sie bereute es nicht, die Hogmanay-Party verlassen zu haben, allerdings war sie wütend auf sich selbst, dass sie es nicht mehr dort ausgehalten hatte, nachdem sie ihren Freund gesehen hatte – ihren Exfreund, berichtigte sie sich –, wie er mit einem großen Topf Punsch und einer wasserstoffblonden Kunststudentin mit unhygienischen Piercings in Richtung des Schlafzimmers oben verschwunden war. Ach, Scheiße.
Jetzt war sie auf der dunklen Straße durch das Moor unterwegs zu einem Haus voller betrunkener Silvestergäste und einer Schüssel mit heißer Linsensuppe, wobei sie sich auf üble Kurven, Schlaglöcher und Senken konzentrierte, in denen sich das Wasser gefährlich sammelte.
Emily richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Asphalt, der im dahindriftenden Nebel zu schwanken schien. Im Kopf hörte sie die Worte ihres Dads. Auf gerader Strecke wird man leicht zu schnell und bemerkt dann erst viel zu spät das Aquaplaning, dann rutscht der Wagen gegen eine Trockenmauer, und ich bekomme einen Anruf aus der Notaufnahme, dass ich dich abholen soll, und zwar in der Nacht des Jahres, in der am meisten los ist, und ich in meinem guten Anzug. Sie hatte ihn angelächelt, ihm jedoch eigentlich nicht zugehört. Sie war achtzehn. Sie konnte nun allein auf sich aufpassen.
Die Straße vor ihr schob sich zur Seite, als der Punto von einer Windböe erfasst wurde, und die Scheinwerfer strichen durch den Schatten unter einigen Bäumen, ehe sie sich wieder dem festen Asphalt und der Trockenmauer zuwandten. Emily sah auf den Tacho und schaute zu, wie die Nadel zurückging … sechzig … fünfzig … Sie blinkte links und bog in die Straße ab, die sie zu den Braes und heim nach Glasgow bringen würde. Vor sich sah sie Lichter, trübe gelbe Vierecke in der Dunkelheit. Die Buchstaben auf dem Pub-Schild von der »Paraffinlampe« hatte jemand in »Paffender Lump« geändert. Emily grinste und steuerte vorsichtig durch eine überflutete Stelle am Ende des Hangs, wo ihr Wagen durch das Wasser gebremst wurde. Als sie die Riesenpfütze hinter sich hatte, drückte sie auf die Bremsen, um diese zu trocknen, und blinkte nach rechts. Sie sah in den Rückspiegel, wohin ihr Blick durch die Lichter eines anderen Wagens angezogen wurde. Irgendwer war gerade vom Parkplatz des Pubs losgefahren und bog hinter ihr auf die Straße ein, vermutlich um sich von den Heckleuchten eines anderen Wagens führen zu lassen.
Die Digitaluhr des Armaturenbretts sprang auf 23:25. Die Scheinwerfer des Wagens hinter ihr blitzten erneut im Spiegel auf und verschwanden, als Emily auf die gerade Straße einbog, die über den höchsten Punkt des Moores führte. Das war der schnellste Weg nach Glasgow, wenn auch vielleicht nicht der sicherste. Sie sah erneut in den Rückspiegel: kein Licht mehr. Der andere Wagen war vermutlich geradeaus in Richtung Dalry weitergefahren.
Je höher die Straße führte, desto dichter und blendender wurde der Nebel. Sie zitterte und stellte die Heizung an. Als die Tachonadel sich wieder achtzig Stundenkilometern näherte, meinte sie ein Geräusch zu hören. Ein Brummen von irgendwoher. Ist der Wagen nicht in Ordnung?
Hier in den Braes kurz vor Mitternacht war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für eine Reifenpanne. Sie drehte Robbie Williams leise und lauschte. Das Geräusch war immer noch da.
Es kam von hinten. Von draußen.
Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und drückte das Gaspedal durch. Die Nadel bewegte sich auf die hundert zu.
Dann zuckte sie heftig zusammen, als direkt hinter ihr eine Hupe trötete. Das Fernlicht eines Wagens, der nur wenige Zentimeter von ihrer Stoßstange entfernt war, blendete sie. Genauso plötzlich wurde es wieder dunkel.
Und still.
Sie schloss die Augen kurz, damit sie sich wieder auf die Dunkelheit einstellten. Hinter sich konnte sie nichts erkennen. Nur den Nebel.
Alles war ruhig,
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