In einer kleinen Stad
vier zusammengeklebte Rollen Acht-Millimeter-Film abliefen, konnte man sie jetzt stundenlang langweilen, ohne auch nur eine neue Kassette einlegen zu müssen.
Er nahm die Kassette aus ihrer Schachtel und betrachtete sie. Sie trug kein Etikett. Okay, dachte er. Das ist absolut okay. Ich muß eben selbst feststellen, um was es sich handelt. Seine Hand bewegte sich auf den Einschaltknopf des Recordes zu – und dann zögerte sie.
Die Kombination aus den Gesichtern von Todd und Sean und seiner Frau wich plötzlich zurück; an ihre Stelle trat das bleiche, bestürzte Gesicht von Brian Rusk, wie Alan es bei ihrer letzten Begegnung gesehen hatte.
Du siehst unglücklich aus, Brian.
Ja, Sir.
Heißt das, daß du unglücklich BIST?
Ja, Sir – und wenn Sie auf diesen Knopf drücken, werden Sie auch unglücklich sein. Er will, daß Sie sich das ansehen, aber nicht, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Mr. Gaunt tut niemandem einen Gefallen. Er will Sie vergiften, sonst nichts. So, wie er alle anderen Leute vergiftet hat.
Dennoch mußte er es sich ansehen.
Seine Finger berührten den Knopf, streichelten seine glatte, eckige Form. Er hielt inne und schaute sich um. Ja. Mr. Gaunt war noch hier. Irgendwo. Alan konnte seine Anwesenheit fühlen – eine gewichtige Anwesenheit, drohend und überredend zugleich. Er dachte an den Brief, den Mr. Gaunt hinterlassen hatte. Ich weiß, daß Sie sich wieder und wieder gefragt haben, was in den letzten Momenten des Lebens Ihrer Frau und Ihres jüngsten Sohnes passiert ist...
Tun Sie es nicht, Sheriff, flüsterte Brian Rusk. Alan sah sein bleiches, verstörtes Gesicht oberhalb der Kühltasche im Gepäckkorb seines Fahrrades, der Kühltasche voller Baseballkarten. Lassen Sie die Vergangenheit ruhen. Es ist besser so. Und er lügt; Sie WISSEN, daß er lügt.
Ja. Er wußte es. Er wußte es genau.
Dennoch mußte er es sich ansehen.
Alans Finger drückte auf den Knopf.
Das kleine grüne POWER-Licht ging sofort an. Der Videorecorder funktionierte einwandfrei, ob er nun an eine Steckdose angeschlossen war oder nicht; Alan hatte gewußt, daß es so sein würde. Er schaltete den roten Sony ein, und Sekunden später warf der weißlich glühende, flimmernde Schnee von Channel 3 sein bleiches Licht in den düster verstaubten Raum. Alan drückte auf den EJECT-Knopf, und der Kassettenschacht des Recorders sprang auf.
Tun Sie es nicht, flüsterte Brian Rusks Stimme abermals, aber Alan überhörte sie. Er schob die Kassette ein, schloß den Schacht und lauschte dem mechanischen Klicken, als die Magnetköpfe sich auf das Band senkten. Dann holte er tief Luft und drückte auf den PLAY-Knopf. Der weißlich glühende Schnee auf dem Bildschirm wich einer glatten Schwärze. Einen Augenblick später färbte sich der Bildschirm schiefergrau, und eine Reihe von Zahlen flammte auf: 8... 7... 6... 5... 4... 3... 2... X
Was folgte, war die leicht verwackelte Aufnahme einer Landstraße. Im Vordergrund, ein wenig unscharf, aber immer noch lesbar, stand ein Straßenschild; 117 stand darauf, aber das brauchte Alan nicht. Er war diese Strecke schon viele Male gefahren, und er kannte sie gut. Er erkannte das Kiefernwäldchen gleich hinter der Stelle, an der die Straße eine Biegung machte – es war das Wäldchen, in dem der Scout gelandet war und in dem seine zermalmte Haube sich um den größten Baum geschlungen hatte.
Aber die Bäume auf dieser Aufnahme wiesen keinerlei Spuren des Unfalls auf, obwohl die Narben noch heute zu sehen waren, wenn man hinausfuhr und danach Ausschau hielt (wie er es oft genug getan hatte). Staunen und Entsetzen schlichen sich stumm in Alans Bewußtsein ein, als er begriff, daß dieses Videoband an dem Tag aufgenommen worden war, an dem Annie und Todd gestorben waren.
Er würde sehen, wie es passiert war.
Es war völlig unmöglich, aber es war wahr. Er würde sehen, wie seine Frau und sein Sohn den Tod fanden.
Schalten Sie ab! schrie Brian. Schalten Sie ab, er ist ein Giftmann, und er verkauft Giftdinge! Schalten Sie ab, bevor es zu spät ist!
Aber Alan war dazu ebensowenig imstande, wie er imstande gewesen wäre, nur durch Denken sein Herz zum Stillstand zu bringen. Er war erstarrt, gefangen.
Jetzt schwenkte die Kamera ruckartig nach links, die Straße hinauf. Einen Augenblick lang war da nichts, dann funkelte etwas im Sonnenlicht. Es war der Scout. Der Scout kam. Der Scout auf seinem Weg zu der Kiefer, an der er und seine Insassen für immer enden würden. Der Scout näherte sich
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