In einer kleinen Stad
sagte Norris und betrachtete besorgt den alten Mann.
»Ich sollte in Kansas sein«, sagte Seat verdrossen. »Inzwischen bleibe ich einfach hier sitzen und warte darauf, daß es vorübergeht. Ich bin nicht...« Da flog die Brücke in die Luft – das immense Gewehrschuß-Geräusch zerfetzte den Abend wie eine Klaue.
»Großer Gott!« riefen Norris und Joe Price gleichzeitig.
»Ja«, sagte Seat Thomas mit seiner verdrossenen, nörgelnden, keineswegs überraschten Stimme, »ich glaube, sie jagen die Stadt in die Luft. Ich glaube, das kommt als nächstes.«
Plötzlich, bestürzend, begann der alte Mann zu weinen.
»Wo ist Henry Payton?« fuhr Norris Trooper Price an. Price ignorierte die Frage. Er rannte zur Tür, um zu sehen, was hochgegangen war.
Norris warf einen Blick auf Seaton Thomas, aber Seat starrte düster ins Leere; Tränen rollten ihm übers Gesicht, und seine Hand preßte sich noch immer auf seine Brust. Norris folgte Trooper Joe Price und fand ihn auf dem Parkplatz, auf dem Norris vor ungefähr tausend Jahren Buster Keetons rotem Cadillac ein Strafmandat verpaßt hatte. Eine Säule aus verlöschendem Feuer ragte deutlich in der regennassen Dunkelheit auf, und in seinem Schein konnten beide erkennen, daß die Castle Stream Bridge verschwunden war. Die Ampel am Stadtrand war auf die Straße gestürzt.
»Heilige Mutter Gottes«, sagte Trooper Price mit ehrfürchtiger Stimme. »Ich bin nur froh, daß das nicht meine Stadt ist.« Der Feuerschein hatte Rosen auf seine Wangen und Glut in seine Augen gezaubert.
Norris’ Drang, Alan ausfindig zu machen, war stärker geworden. Er kam zu dem Schluß, daß er gut daran täte, sich wieder in seinen Streifenwagen zu setzen und zu versuchen, Henry Payton zu finden – wenn da irgendwo eine große Keilerei im Gange war, sollte das nicht allzu schwierig sein. Möglicherweise war Alan auch dort.
Er hatte fast den Gehsteig überquert, als ihm ein Blitz zwei Gestalten zeigte, die gerade um die Ecke des Gerichtes neben dem Gebäude der Stadtverwaltung bogen. Offenbar wollten sie zu dem leuchtend gelben Übertragungswagen. Bei der einen war er seiner Sache nicht sicher, aber die andere Gestalt – massig und ein wenig krummbeinig – war unmöglich zu verkennen. Es war Danforth Keeton.
Norris Ridgewick tat zwei Schritte nach rechts und drückte den Rücken gegen die Ziegelsteinmauer an der Mündung der Gasse. Er zog seinen Dienstrevolver. Er hob ihn mit himmelwärts zeigendem Lauf in Schulterhöhe und schrie »HALT!«, so laut er konnte.
3
Polly setzte mit ihrem Wagen auf der Auffahrt zurück, schaltete die Scheibenwischer ein und bog nach links ab. Zu den Schmerzen in ihren Händen war dort, wo der Speichel der Spinne ihre Haut benetzt hatte, ein heftiges Brennen hinzugekommen. Er hatte sie irgendwie vergiftet, und das Gift schien sich stetig seinen Weg in ihren Körper zu bahnen. Aber jetzt hatte sie keine Zeit, sich deswegen zu sorgen.
Sie näherte sich dem Stoppschild an der Kreuzung von Ford und Main Street, als die Brücke hochging. Der gewaltige Knall ließ sie zusammenfahren, und sie starrte fassungslos auf die grelle Flammensäule, die sich aus dem Castle Stream erhob. Einen Augenblick lang sah sie das Gerüst der Brücke selbst, eine Masse von schwarzen Winkeln vor dem gleißenden Licht, und dann wurde alles von Flammen verschluckt.
Sie bog abermals links ab in die Main Street, fuhr in Richtung Needful Things.
4
In früheren Zeiten war Alan Pangborn ein begeisterter Amateurfilmer gewesen. Er hatte keine Ahnung, wie viele Leute er zu Tränen gelangweilt hatte mit ruckenden Filmen, projiziert auf eine an der Wohnzimmerwand aufgehängten Leinwand, von seinen Kindern, die in Windelhöschen auf unsicheren Beinen im Wohnzimmer herumtappten, von Annie, die sie badete, von Geburtstagsparties, von Familienausflügen. In all diesen Filmen winkten und grinsten Leute in die Kamera. Es war, als gäbe es ein unausgesprochenes Gesetz: Wenn jemand eine Filmkamera auf dich richtet, dann muß du winken oder grinsen oder beides. Wenn du das nicht tust, kannst du unter der Anklage von Gleichgültigkeit Zweiten Grades verhaftet werden, worauf eine Strafe von zehn Jahren steht, die mit dem Ansehen endloser Spulen von Amateurfilmen zu verbringen sind.
Vor fünf Jahren war er auf eine Videokamera umgestiegen, die sowohl billiger als auch einfacher zu bedienen war – und anstatt Leute zehn oder fünfzehn Minuten lang zu langweilen, die Zeitspanne, in der drei oder
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