In Einer Zaertlichen Winternacht
den
Dunstschleier auf das Grab seines Großvaters. Er hatte einen hohen Preis für
seinen Stolz bezahlt, und sein Erfolg als Countrysänger änderte daran gar
nichts.
Er
hatte die Jahre verloren, die er vielleicht mit Meg hätte verbringen können und
mit den Kindern, die sie zusammen bekommen hätten. Er war nicht hier gewesen,
als Big John ihn gebraucht hatte – genau wie seine Schwestern, auch wenn
die drei jetzt alle gut ausgebildete, unabhängige Frauen waren. Sicher, Big
John hatte sie geliebt und beschützt, aber das machte es nicht besser. Er hätte
für Olivia, Ashley und Melissa der große Bruder sein müssen.
Brad
war so sehr in seine Erinnerungen vertieft, dass er das Motorengeräusch zwar
hörte, aber nicht den Kopf hob. Dann wurde es wieder still, und eine Wagentür
fiel ins Schloss.
»Hallo«,
sagte Olivia leise.
»Hallo«,
erwiderte er, drehte sich jedoch noch immer nicht nach seiner ältesten
Schwester um.
»Willie
geht es besser. Ich habe ihn im Wagen.«
»Das
ist gut. Dann sollte ich wohl in die Stadt fahren und Futter besorgen.«
»Ich
habe alles mitgebracht, was er in der nächsten Zeit braucht«, sagte sie leise
und setzte sich neben ihn. »Vermisst du Big John?«
»Jeden
Tag«, gab Brad zu. Ihre Mutter war fortgegangen, als die Zwillinge kaum laufen
konnten. Ihr Vater war ein Jahr später ums Leben gekommen, als er bei Gewitter
eine verängstigte Rinderherde zusammengetrieben hatte. Big John hatte die vier
kleinen Enkelkinder großgezogen.
»Ich
auch. Fragst du dich je, was aus Mom geworden ist?«
Brad
wusste, wo Della O’Ballivan war – sie lebte in einer Wohnwagensiedlung außerhalb
von Independence in Missouri zusammen mit dem vorläufig letzten in einer langen
Reihe permanent betrunkener Männer. Doch das hatte er seinen Schwestern
verschwiegen, denn es war eine zu traurige Geschichte. Erzählt hatte sie ihm
der Privatdetektiv, den er mit den Einnahmen seines ersten Hits dafür bezahlt
hatte, Informationen über seine Mutter zu ermitteln.
»Nein«,
antwortete er ehrlich, »das frage ich mich nie.« Er hatte Della besucht. Auch
sie war betrunken gewesen und hatte sich mehr für seine Karriere und sein Geld
als für ihn selbst interessiert. Sie hatte nicht einmal nach ihren Töchtern
oder ihrem Ehemann gefragt.
Olivia
seufzte. »Wahrscheinlich ist sie tot.«
Leben
konnte man das, was Della tat, kaum nennen. »Ja, wahrscheinlich.« Seine Mutter
meldete sich nur, wenn sie Geld brauchte. Er überließ es seinem Steuerberater,
ihr hin und wieder einen Scheck zu schicken.
»Deshalb
will ich nicht heiraten, weißt du«, gestand seine Schwester, »weil ich
vielleicht so wie sie werde. Vielleicht steige ich einfach in einen Bus und
verschwinde.«
Wie
ich es gemacht habe, dachte Brad. War er Della ähnlicher, als er zugeben
wollte?
»Das
würdest du nie tun!«, sagte er.
»Früher
habe ich davon geträumt, dass sie nach Hause kommt«, fuhr Olivia traurig fort, »und
mich als Maria beim Krippenspiel in der Kirche sieht.«
Brad
legte den Arm um seine Schwester und fühlte, wie ihre Schultern zitterten.
»Ich
erinnere mich genau an sie, Brad. Sie war hübsch, hat nach Flieder geduftet und
gesungen, wenn sie die Wäsche aufhängte. Sie hat mir Geschichten vorgelesen.
Und dann war sie … einfach weg. Ich habe es nie verstanden. Ich dachte immer,
dass ich etwas falsch gemacht haben muss …«
»Der
Fehler lag bei ihr , Livie, nicht bei dir .«
»Man
weiß nie, wann er sich zeigt. Mom hat wahrscheinlich nicht damit gerechnet,
dass sie uns mal verlassen würde.«
Brad
wusste, dass das nicht stimmte, aber er konnte nicht widersprechen, ohne zu
viel preiszugeben. Die Della, die er kannte, schwankte zwischen Depression und
Euphorie und ertrug ihre Stimmungsschwankungen nur mit Alkohol. Dass sie es so
lange auf der Stone-Creek-Ranch ausgehalten hatte, war ein Wunder. Jemand wie
sie brauchte die Anonymität der Großstadt und Bars, in denen sie unerkannt
einen Gin – mit möglichst wenig Tonic – nach dem anderen trinken
konnte.
Olivia
stand auf und klopfte sich die Jeans ab. »Ich muss weiter. Die Iversons haben
einen Stall voll kranker Kühe.«
Brad
ging mit ihr zum Wagen. »Etwas Ernstes? Die Kühe, meine ich.«
»Ein
Fieber, möglicherweise ansteckend.«
Sie
seufzte schwer, und nicht zum ersten Mal wünschte er, sie hätte sich einen
weniger anstrengenden Beruf ausgesucht. Er wartete, bis sie ins Auto gestiegen
war, kletterte in seinen Truck und folgte ihr zur Ranch.
Vor
dem
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