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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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aber vor Jennifer und Allen schwimmen!« sage
ich, und Mutter lacht. Sie ist sehr jung und schön und sitzt
barfuß im Gras. Die Enten streiten sich um die Brotstücke
mit Erdnußbutter und Marmelade und quaken und kreischen und
quieken und werden zum Schrillen meines Armbands.
    Ich drehte mich herum und seufzte: »Empfang.«
    »Ein Anruf, Doktor Clementi«, sagte der
MedZentrum-Computer mit seiner angenehmen androgynen Stimme.
»Code vier. Mrs. Paula Schaeffer. Klagt über Kribbeln im
linken Bein, Lethargie, Reizbarkeit. Bitte um
Instruktionen.«
    »Vereinbarung eines Termins am Vormittag«, sagte ich,
wahrscheinlich ebenso gereizt wie die potentielle Patientin. Wenn der
Computer den Anruf als Code vier einordnete, dann hatte es keine
Eile. Das Kribbeln im Bein konnte alles mögliche sein und war
vermutlich gar nichts. Lethargie, Reizbarkeit – soweit mir
bekannt, litt Mrs. Schaeffer ständig daran. Sie war
siebenundachtzig, Herr im Himmel, und es war zwei Uhr morgens!
Erwartete sie, um diese Zeit in der Laune für eine wilde
Tanzparty zu sein? Aber sie hatten eben immerzu Angst, alles und
jedes könnte sich um einen Schlaganfall handeln.
    Das Armband hatte Maggie geweckt. »Nick? Mußt du
weg?«
    »Nein. Nur wieder einmal ein verängstigtes Fossil.«
Das war unser privater Spitzname für diese Leute, obwohl wir
beide auch schon Mitte siebzig waren. Oder vielleicht gerade deshalb.
Scherzen wir darüber, kosten wir davon, gewöhnen wir uns
daran mit Hilfe kleiner, dummer Bemerkungen über andere
Menschen, und es wird leichter sein, damit zu leben. Mithridates,
er starb sehr alt…
    Maggie rollte sich herüber, um sich an meinen Rücken zu
kuscheln. Die Knöpfe ihres Nachthemdes bohrten sich in meine
Haut.
    »Deine Garderobe hat es schon wieder auf mich
abgesehen.«
    »Tut mir leid, Liebling.« Sie drehte sich ein wenig
weg.
    »Das reicht nicht. Zieh sie aus.«
    »Du bist ein liederlicher alter Mann, Nick!« Und dann:
»Nick?«
    Es würde ein ordentlich harter werden, das spürte
ich.
    Sie war leicht und süß in meinen Armen. Mit vierzig,
fünfzig hatte Maggie ziemlich zugenommen und war ein
heißes, aufregendes Kissen unter mir gewesen, aber mit sechzig,
siebzig hatte sie alles wieder verloren, und jetzt konnte ich ihre
zarten Knochen spüren. Und diesen Duft – Maggie hatte immer
diesen Duft, einen einzigartigen Geruch, an sich, wenn sie bereit
war. Und jetzt war sie bereit. Ihre dünnen Arme umklammerten
mich fester, und ich glitt hinein – und es wurde
tatsächlich eines dieser besonders guten Male.
    »O ja, ja«, flüsterte Maggie wie seit
einundfünfzig Jahren.
    »Ich liebe dich, Maggie!«
    »Mmmmmmm… o ja, Nick, genau so…«
    Sie weiß immer, was sie will. Seit einundfünfzig
Jahren. Und ich bin dankbar, daß ich das bin.
    Hinterher schrillte das Armband noch mal. Maggie döste ein
wenig, ein Bein über das meine gelegt, und ein verirrtes
weißes Löckchen kitzelte mich an der Nase. Ich mußte
auch geschlafen haben, denn ein wenig Morgenlicht sickerte durch die
Vorhänge.
    Maggie wachte auf und sah mich an. »Verdammt, warum
können sie dich nicht schlafen lassen? Reagiere einfach nicht.
Wahrscheinlich ist es ohnehin nur ein Kribbeln in Paula Schaeffers
anderem Bein.«
    »Während es bei dir ganz woanders kribbelt«, neckte
ich sie.
    »Melde dich einfach nicht, Nick.«
    »Empfang«, sagte ich zum Armband.
    »Oder vielleicht ein Kribbeln in Paula Schaeffers
Wimpern!«
    Aber das war es nicht. Es war Jan Suleiman, Protokollführerin
des Beirates und langjährige Freundin des Hauses. Häufig
sorgte Jan dafür, daß mir Dinge zu Ohren kamen, bei denen
es anderen Leuten lieber wäre, sie würden mir nicht zu
Ohren kommen. Ich hörte zu und setzte mich langsam auf,
während ich in die dunkle Ecke unseres Schlafzimmers
starrte.
    »Nick?« fragte Maggie. »Was ist es?«
    Als der Anruf beendet war, sagte ich es ihr. Ich sagte Maggie
immer alles, auch so manches, was ich ihr nicht hätte sagen
sollen. Ich hatte vollstes Vertrauen zu ihr. Ich erzählte ihr
von meinen noch verbliebenen Patienten, von den finanziellen
Schwierigkeiten des Freiwilligenzentrums für humanitäre
ärztliche Hilfe und von den politischen Hahnenkämpfen
innerhalb des Beirates für medizinische Krisen beim
Kongreß. Es gab nur eine Sache, von der ich ihr noch nichts
gesagt hatte, und das würde ich nachholen, wenn die Zeit reif
war dafür. Und so wiederholte ich ihr jetzt, was man angeblich
gestern gesehen hatte, bei der Maglev-Explosion in

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