In grellem Licht
Sie das erreicht haben, was Sie
wollten, nämlich die Aufnahme in die Armee, gibt es nichts mehr
zu erhoffen?«
Ich sage gar nichts und starre bloß rüber auf die
Berge. Aber Nick hört nicht auf zu sticheln.
»Sind Sie denn nicht eines unserer kostbarsten Güter?
Aus diesem Umstand haben Sie doch Ihr Leben lang Kapital geschlagen,
oder? Warum wollen Sie jetzt damit aufhören?«
»Was soll denn das wieder heißen?« Langsam werde
ich wütend. Was geht ihn denn das alles an? Es ist doch mein Leben!
Er sagt: »Haben Sie eigentlich schon an die
Offiziersanwärterschule gedacht?«
»Ich?« platze ich heraus. »Hören Sie auf,
Nick! Um ein Haar hätte ich nicht mal die Highschool geschafft!
Außerdem habe ich keine Lust, diejenige zu sein, die darauf
schaut, daß die Vorschriften eingehalten werden. Ich will die
sein, die sie bricht!«
»Sind Sie sicher?« fragt er leise. »Sind Sie
wirklich sicher, daß Sie das für alle Zukunft sein wollen,
Shana? Finden Sie das so erstrebenswert?«
Darauf brauche ich gar nicht zu antworten: Georgia und Jennie, die
wegen einer Haarbürste streiten, als wäre es das
Größte auf der Welt… Teela und Dreamie, die wegen des
billigen Nervenkitzels über harmlose Arschficker herfallen…
die Idioten aus der B-Kompanie, die es gar nicht erwarten
können, sich wieder anzusaufen und vollzukiffen und in der
Scheiße zu stecken…
»Die Offiziersanwärterschule würde Sie
nehmen«, fährt Nick fort, »selbst mit Ihren Benotungen
und Ihrer Dienstbeschreibung, denn im Moment sind Sie die große
Heldin. Aber ich glaube, Sie sind klug genug, um zu wissen, daß
so etwas nicht anhält. Was viel mehr zählt, ist der
Umstand, daß das Angebot an Kandidaten dramatisch gesunken ist
– und zwar im gleichen Maß, in dem die Lernschwierigkeiten
unter unseren jungen Menschen zunehmen. Sie sind gesund und Sie sind
klug, obwohl sie Ihr bisheriges Leben damit zugebracht haben, die
Welt vom Gegenteil zu überzeugen. Man würde Sie nehmen. Sie
könnten einmal Leutnant Walders sein.«
Leutnant Walders. Mit einer echten Karriere vor mir. Mit
echten Entscheidungen und echten Wahlmöglichkeiten und echten
Herausforderungen… Ich stehe so abrupt auf, daß der
Baumstamm ein wenig wackelt und Nick ins Schwanken gerät.
»Entschuldigen Sie, Nick. Aber wir müssen jetzt
zurück.«
»Natürlich«, erwidert er und nickt entschlossen.
Ich helfe ihm hoch. Ein paar langsame schweigende Schritte, und dann
sagt er: »Denken Sie darüber nach, Shana.«
»Geben Sie acht auf den Ast da, Nick! Stolpern Sie
nicht.«
»Ich würde Ihnen ein Empfehlungsschreiben mitgeben. Sie
könnten es schaffen, das wissen Sie.«
Leutnant Walders.
Ohne daß ich mir überlege, was ich sage, rutscht es mir
heraus: »Ist Laurie wirklich glücklich mit dem Baby, Nick?
Mit diesem Baby?«
»Laurie hat ihre Erwartungen herabgesetzt, Shana. Ihre
hingegen müssen wir ein wenig hinaufsetzen. Denken Sie immer
daran, alles, was wir über uns zu wissen glauben, ist sehr
wahrscheinlich falsch.« Plötzlich hört sich Nick so
an, als würde er nicht zu mir sprechen, sondern zu sich. Aber
mir reicht die Unterhaltung ohnehin schon. Das Leben sollte zum Leben
da sein, nicht um darüber zu quatschen. Das ist das Problem mit
Leuten wie Nick: sie reden und denken und suhlen sich geradezu in
diesem Sumpf. Anstatt sich die Ärmel hochzukrempeln und
weiterzumachen.
Leutnant Walders.
Wir latschen wieder zehn Meter voran. Die Blätter wehen in
prächtigen Farben von den Bäumen, und die Luft riecht, als
wäre Gott gerade eben aus dem Bett gehüpft und hätte
die Erde neu erschaffen. Vor uns läuft ein Hase über den
Weg. Maggie macht die Haustür auf und tritt auf die Veranda, die
Hände in die Hüften gestützt; sie sieht Nick
näher kommen, und ihr Gesicht wird ganz sanft. Hinter ihr
strömt Küchengeruch aus der Tür – Fleisch,
Äpfel und frischgebackenes Brot.
Ich sage: »Nick…«
»Sie können Ihren Sergeant um ein Bewerbungsformular
für die Schule ersuchen«, sagt er. »Oder es online
anfordern. Und bei Ihrem nächsten Urlaub helfe ich Ihnen beim
Ausfüllen.«
»Ehrlich?« Ich drücke seinen Arm. Für so einen
alten Kerl ist er schwer in Ordnung.
»Gehen wir schneller, Shana. Maggie wartet schon.«
»Die hat was gegen, daß ich da bin.«
»Dagegen«, sagt er. Ach du meine Güte, jetzt
fängt es an! Korrekte Grammatik, korrekte Manieren und
Bücher studieren. Offiziere klingen nicht wie Idioten und sie
benehmen sich auch nicht so. Leutnant
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