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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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versuchen – und ich weiß, es setzt uns noch zu, nicht nur mir, sondern uns allen, da keiner dieser Tode durch Ertrinken einen Sinn ergibt. Niemand hätte dort draußen sterben sollen, nicht unter diesen Bedingungen, nicht zu dieser Jahreszeit. Wie vor ihm Mats, verschwand Harald in einer stillen, mondhellen Nacht auf reglosem Meer, und das Boot – man entdeckte das Boot in Kvitberg, wo es nahe beim Strand lag, als wartete es auf Haralds Rückkehr, dasselbe Boot, das Mats genommen hatte, vom selben Nachbarn gestohlen – befand sich in ausgezeichnetem Zustand. Darüber hinaus gab es für Harald ebenso wenig einen Grund, dort draußen zu sein, wie es ihn für Mats gegeben hatte, keinen Grund hinauszurudern, bis er allein auf dem offenen Meer war, und keine Erklärung dafür, warum er den Tod fand. Eigentlich gab es für nichts von all dem eine Erklärung. Nicht für Mats, nicht für Harald, nicht für Martin Crosbie. Vor allem aber gab es keine Erklärung dafür, warum Kyrre Opdahl gemeinsam mit dem Mädchen verschwinden sollte, das er so hasste, keinen Grund dafür, dass sich die beiden auf dem Weg von unserem Haus zum Strand in nichts auflösten und nur einige Flecken im Gras hinterließen, bei denen es sich um Asche oder Staub gehandelt haben könnte. Eine Spur, die der Regen fortspülte, ehe sie jemand sehen konnte – nur ich habe sie gesehen, und ich sehe sie in Gedanken auch jetzt noch vor mir, eine dünne Spur am Wiesenrand, die sich im prasselnden, dunklen Regen auflöste, ehe ich recht erkennen konnte, was es war. Also ja, wir werden alle noch von dem geplagt, was letztes Jahr geschah, auch wenn wir nicht mehr darüber reden, doch setzt es mir mehr zu als den meisten, weil ich sah, was ich sah, und darüber nicht sprechen kann.
    Das war vor zehn Sommern. Der Sommer meines achtzehnten Lebensjahres; der Sommer, in dem mein toter Vater sich meldete und dann wieder in jenem Schweigen verschwand, aus dem er aufgetaucht war; der Sommer der Geister und Geheimnisse; der letzte Sommer, in dem ich mich für eine Spionin Gottes hielt. Ein langer, weißer Sommer der Geschichten, die unmöglich jemand glauben konnte, Geschichten, die wir alle akzeptierten, obwohl wir wussten, dass sie von Anfang bis Ende erlogen waren. Der Sommer, in dem die Huldra ihrem Versteck entstieg, wo immer das auch sein mochte, und drei Männer ertränkte, einen nach dem anderen, im stillen, kalten Wasser des Malangenfjords. Heute, da sonst niemand mehr über die Ereignisse jenes Sommers redet, bleibt bloß noch eine Geschichte, und die kann ich nicht laut erzählen, da sie zu einer anderen Welt gehört. Auf diese Welt habe ich nur einen flüchtigen Blick geworfen; doch wollte ich versuchen, über das zu reden, was ich gesehen habe, hielten mich die Leute in der Stadt für so verrückt wie Kyrre Opdahl – und vielleicht bin ich das auch. Denn selbst wenn ich nicht glaube, was Kyrre über die Ertrunkenen erzählt hat, weiß ich doch, dass etwas Schreckliches geschehen ist, und ich weiß auch, dass ich sah, was ich sah, an jenem Tag, an dem Kyrre und Maia verschwanden. Die Leute in der Stadt würden behaupten, es seien doch nur eine Reihe unseliger Zufälle gewesen, denn ihnen liegt vor allem daran, eine endgültige Erklärung für diese Geschichte zu finden – allerdings hatte Kyrre ja schon immer behauptet, dass Stadtleute dumm sind. Sein Leben lang verblüffte und enttäuschte es ihn, dass die Menschen in seiner Umgebung alles so wörtlich nahmen: Sie stellten sich Trolle als stämmige, sauertöpfische Monster vor, die unter Brücken hausten und entlaufene Ziegen fraßen; sie stellten sich die Huldra als eine hübsche Frau vor, die im roten Kleid auf den Wiesen tanzte und nur auf eine Gelegenheit wartete, junge Männer zu umgarnen und ins Verderben zu locken. An so etwas glaubten die Stadtleute nicht, natürlich nicht, weshalb sie sich auch über die alten Geschichten lustig machten und gar nicht begriffen, dass sich für einen wahren Gläubigen wie Kyrre nichts derart simpel verhielt. Doch ich begriff es, ich wusste es. In Kyrres Haus lauerten Schatten in den Falten jeder Decke, dort huschte ein unmerklicher Schauder über das Wasser im Glas, über die Sahne in der Schüssel auf dem Tisch, überall taten sich winzige, fast unendlich kleine Schlupflöcher der Verheerung im Gefüge der Wirklichkeit auf, eine Verheerung, die aufkommen konnte und einen fand, wie der erste Windstoß eines Unwetters den Ruderer auf offenem Meer findet. Kyrres

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