In jenem Sommer in Spanien
konnte sich auch nicht überwinden, Mr Cruz anzusehen, während sie ihre Antwort formulierte, und hielt den Blick gesenkt. Nicht gerade das Kommunikationsverhalten einer dynamischen neuen Kraft.
Es entstand eine unangenehme Pause, bis Alex wieder aufsah. Als sich ihre Blicke trafen, ging ihr das durch und durch, und die Vorstellung, dass es sich bei diesem Mann womöglich um denselben handelte, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, wurde beinah zur Gewissheit.
„Hieß der Mann vielleicht ‚Lucio‘?“
Alex machte große Augen. „Wo… woher wissen Sie das?“
Eigentlich kannte sie die Antwort längst, doch Alex legte sich verzweifelt Erklärungen zurecht, wieso der Mann vor ihr nicht derselbe sein konnte, den sie vor Jahren kennengelernt hatte. Lucio war keiner alteingesessenen, namhaften spanischen Familie entsprungen und ganz bestimmt nicht so reich und mächtig gewesen wie Gabriel Cruz!
„Ich habe dich sofort wiedererkannt, als du heute Morgen in mein Büro gekommen bist. Ich bin erstaunt, dass es dir mit mir nicht genauso ging, Alex. Irgendwie befremdet mich das ein bisschen, aber ich stehe darüber.“
„Aber … aber Sie heißen doch gar nicht Lucio … Sie heißen …“
„Lucio ist mein zweiter Vorname“, antwortete er, und wieder tat sich vor Alex ein Abgrund auf, während sie sich bemühte, ihre Erinnerung an Lucio mit dem vor ihr sitzenden Gabriel in Einklang zu bringen, die ein und dieselbe Person waren. Etwas anderes anzunehmen, war natürlich total verrückt gewesen. Dieses Gesicht vergaß man nicht, und wenn sie damals gedacht hatte, er würde gut aussehen, war er jetzt einfach umwerfend attraktiv. Aus dem Sechsundzwanzigjährigen war ein perfekter Mann Anfang dreißig geworden.
Der verlobt war.
„Ich verstehe das nicht“, stammelte Alex völlig verwirrt.
„Was verstehst du nicht?“
„Hast du mich damals belogen? Als ich dich heute Morgen wiedergesehen habe, dachte ich einfach nur, dass du Lucio ähnlich siehst. Jetzt sagst du, du seiest er. Aber Lucio hatte kaum Geld und liebte die einfachen Dinge des Lebens. Wer bist dann du?“
Gabriel presste die Lippen zusammen. Alex war immer schon ehrlich und direkt gewesen. Keine Spielchen, keine Ausflüchte, keine Andeutungen. Das war etwas, das ihm besonders an ihr gefallen hatte. Sicher würde sie seine Notlüge nicht verstehen. Plötzlich kam er sich ganz mies vor, und das gefiel ihm gar nicht, denn normalerweise war er immer ziemlich von sich überzeugt.
„Ich habe mich da ein wenig hinreißen lassen“, erklärte er schließlich schulterzuckend. „Alles ganz harmlos.“ Schon in jungen Jahren war er davon genervt, wie sich ihm die Frauen an den Hals warfen, nur weil er Geld und Einfluss besaß. Da war es einfach zu verlockend gewesen, Alex glauben zu machen, er sei ein ganz normaler Kerl, der zufällig in einem schicken Hotel in der Nähe arbeitete. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er seinen goldenen Käfig verlassen und eine gewisse Freiheit genießen dürfen. Nur ganz vage registrierte er jetzt, dass er die Erinnerung daran wie einen Schatz gehütet hatte. Doch er gehörte nicht zu den Menschen, die in sich hineinhörten.
„Ein wenig hinreißen lassen? Ganz harmlos? Was ist denn harmlos daran, jemanden absichtlich hinters Licht zu führen?“ Alex hielt inne, so geschockt war sie darüber, wie Gabriel sein Tun herunterspielte. Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt und ihm alles von sich preisgegeben. Dabei war seine Wertschätzung für sie nicht einmal so weit gegangen, ihr zu sagen, wer er wirklich war. „Ich habe jedes Wort von dem geglaubt, was du mir über dich erzählt hast.“
„Da täuschst dich jetzt aber deine Erinnerung. Ich habe dir nie etwas von mir erzählt.“
„Du hast mich glauben lassen, du seiest ein ganz normaler Mensch! Du bist mit mir am Strand spazieren gegangen, wir haben in kleinen, gemütlichen Lokalen gegessen, und du hast so getan, als seiest du genauso mittellos wie ich. Aber in Wirklichkeit warst du der superreiche Gabriel Cruz und hast überhaupt nicht im Tivoli gearbeitet!“ Das war rückblickend betrachtet natürlich egal, aber sie schreckte davor zurück, ihr wahres Dilemma anzusprechen.
„Doch, ich habe im Tivoli gearbeitet. Gewissermaßen.“
„Was soll das denn heißen?“
„Mir gehört das Hotel. Zumindest inzwischen. Damals war ich dabei, es zu kaufen.“
Alex schwirrte der Kopf. Warum hatte sie sich bloß nie über seine selbstsichere Art gewundert? Über
Weitere Kostenlose Bücher