In Liebe, Rachel
hatte Mühe, mit seinem Tempo Schritt zu halten.
Als sie das nächste Mal den Kopf hob, war die Wartebank leer, und die getrockneten Bananenblätter auf dem Dach raschelten im nächtlichen Wind. Dr. Mwami legte Sarah ein weinendes Neugeborenes in die Arme und wandte sich dann ab, um sich um die erschöpfte Mutter zu kümmern.
Sarah brachte den Säugling zu einer leeren Pritsche und säuberte das kleine Mädchen sanft. Als sie es in die Schachtel legte, die als Wiege diente, spürte sie Dr. Mwamis Hand auf ihrer Schulter.
»Sarah, wir haben Sie vermisst.« Er nickte ihr knapp zu, bevor er sich wieder abwandte. »Schön, dass Sie zurück sind.«
Sarah starrte auf das frisch gewickelte Neugeborene hinab, während draußen die Insekten surrten, während der Sonnenuntergang das Land in rosafarbenes Licht tauchte, während der Geruch der Kochfeuer und der gebratenen Ziegen durch die offene Tür hereinströmte. Tief in ihrem Inneren spürte sie einen Ruck, als fände ein Wagen, der durch Schlamm gezogen wird, plötzlich Halt auf einer festen Straße. Still stand sie da und spürte dem Gefühl der wachsenden Leichtigkeit des Seins nach.
Ja. Es war sehr gut, wieder zu Hause zu sein.
Eine ganze Woche verging, bis Sarah endlich das vertraute Röhren eines hochtourig laufenden Motors hörte, mit dem sich ein Geländewagen den Hügel hinauf zum Hauptgebäude quälte. Sie ging in der Krankenstation auf und ab, ein schreiendes Baby auf dem Arm, das gerade seine erste Impfung bekommen hatte und dem sie nun tröstend über den Rücken strich. Dann vernahm sie das charakteristische Knirschen von Metall auf Metall, mit dem der Fahrer des Jeeps in einen niedrigeren Gang schaltete.
Sam war zurück.
Sarah sank der Magen in die Kniekehlen. Sie tätschelte den Rücken des Babys ein wenig fester, und ihr Körper begann vor Hitze und Scham zu prickeln. Früher oder später würde sie ihm gegenübertreten müssen. Schließlich war er der Faden – fein, aber doch stark genug, um sie an Burundi zu binden, um sie wieder hierherzuziehen. Es würde nicht leicht werden. Die Trennung in Bangalore hatte sie in unangenehmer Erinnerung. Sam war so wütend auf sie gewesen …
Mit gutem Grund! Er hatte recht gehabt. Sie hatte in Indien moralisch die falsche Entscheidung getroffen, als sie sich in Colins Arme warf, obwohl sie wusste, dass er einer anderen Frau versprochen war.
Sie hätte sich in tausend Rechtfertigungen flüchten können, doch sie tat es nicht. Ihr Verhalten konnte sie weder Rachel anlasten noch Kates Drängen oder Jos Ermutigung. Diese Entscheidung hatte sie ganz allein getroffen. Doch in den vergangenen Monaten hatte sie ihren Frieden mit Gott und ihrem Gewissen gemacht. Ob sie allerdings Sams Urteil würde ertragen können, wusste sie nicht, zumal sie selbst ebenfalls hart über einige seiner fragwürdigen Entscheidungen geurteilt hatte.
»Dr. Mwami!« Josette, eine junge Frau, die gerade einige Ziegen an der Klinik vorübertrieb, steckte ihren Kopf durch die Tür. »Dr. Mwami! Master Tremayne ist hier! Kommen Sie, kommen Sie!«
»Einen Moment …«
»Er fragt nach Ihnen«, sagte Josette aufgeregt. Sie sprach zu dem Arzt, doch sie schaute Sarah dabei an. »Er möchte mit Ihnen sprechen, Dr. Mwami!«
Sarah blickte zu dem Arzt, der gerade einen etwa neunjährigen Jungen gegen die Masern impfte. Der Kleine ließ die Prozedur mit fest geschlossenen Augen über sich ergehen. Nachdem er die Nadel herausgezogen hatte, presste Dr. Mwami einen Wattebausch auf die blutende Einstichstelle und warf die Nadel in einen Abfallbehälter für spitze Gegenstände.
»Sam sieht gut aus«, bemerkte Josette mit einem breiten Lächeln. »Er ist ein guter Mann, groß und stark! Und er hat keine Frau.«
Sarah wandte sich ab, damit Josette ihr errötendes Gesicht nicht sah. Sie hoffte, dass man sie bald nicht mehr wegen ihres Singledaseins auf den Arm nehmen würde, doch gleichzeitig befürchtete sie, dass Sams Ankunft alles nur noch schlimmer machte. Die Hälfte der Frauen hielt sie beide für so gut wie verheiratet. Stritten sie sich etwa nicht wie Mann und Frau?
Doch, sie stritten sich, und zwar ununterbrochen. Sarah hatte erst nach Monaten verstanden, dass Sam sie so wütend machte, weil er eine Menge gefährliche Gefühle in ihr aufwühlte, Gefühle, denen sie sich erst stellen konnte, als ein ganzer Ozean zwischen ihnen lag.
Dr. Mwami erklärte den wartenden Patienten, dass er bald zurück sei, und ging ins Freie. Die
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