In Todesangst
es kein richtiges Restaurant, sondern ein offener Raum mit Frühstücksbuffet, auf dem noch Behälter mit Müsli und Cornflakes standen, auch wenn Brötchen und Donuts, Kaffee und Säfte um diese Uhrzeit längst abgeräumt waren. So lief das hier. Übernachten und sich morgens selbst das Frühstück zusammenstellen. Und wenn man sich genug Brötchen in die Taschen stopfte, hatte man sich sogar noch das Mittagessen gesichert.
Eine zierliche Frau in schwarzer Hose und weißer Bluse wischte gerade den Frühstückstresen ab. Thailänderin oder Vietnamesin, schätzte ich. Jedenfalls Südostasien. Ende zwanzig, Anfang dreißig, wenn ich nicht völlig danebenlag.
Ich lächelte und sagte hallo, als ich nach einem Pappbecher griff, um mir einen Kaffee einzuschenken.
»Hallo, Cantana«, sagte Veronica.
Cantana nickte ihr zu und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Veronica setzte sich an einen Tisch und bedeutete mir, ebenfalls Platz zu nehmen.
»Haben Sie inzwischen eigentlich im Howard Johnson’s nachgefragt?«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich. »Ich habe sogar mit der Putzkolonne gesprochen.«
Veronica schüttelte den Kopf. »Und was hat die Polizei unternommen?«
»Nicht viel. Für sie ist Syd bloß eine weitere Ausreißerin. Es gibt keinerlei Hinweise, dass … nun ja, dass ihr tatsächlich etwas zugestoßen ist.«
Veronica runzelte die Stirn. »Aber wie können sie sich so sicher sein, wenn sie nicht mal wissen, wo sie steckt?«
»Tja«, sagte ich nur.
Veronica nippte an ihrem Kaffee. »Haben Sie sonst keine Familie? Jemanden, der Ihnen helfen könnte? Ich sehe Sie immer nur allein.«
»Meine Frau – meine Exfrau – tut vom Telefon aus, was in ihrer Macht steht. Sie hatte vor einer Weile einen Unfall und geht an Krücken.« »Was ist denn passiert?«
»Sie hat sich beim Parasailing verletzt. Das ist dieser Sport, bei dem man sich an einem Drachen hinter einem Boot herziehen lässt.«
»Oh. Von so etwas lasse ich lieber die Finger.«
»Sehr schlau. Aber sie tut, was sie kann. Sie recherchiert im Internet, telefoniert mit allen möglichen Stellen, die uns vielleicht weiterhelfen können. Sie ist genauso am Boden zerstört wie ich.«
»Wie lange sind Sie schon geschieden?«
»Seit fünf Jahren«, antwortete ich. »Syd war damals zwölf.«
»Hat Ihre Exfrau wieder geheiratet?«
»Nein, aber ihren Freund haben Sie vielleicht schon mal gesehen. Kennen Sie die Werbespots für Bob’s Motors? Den Typ, der immer lauthals in die Kamera grölt?«
»Du lieber Himmel. Das ist ihr Freund?«
Ich nickte wortlos.
»Wenn der läuft, schalte ich immer den Fernseher auf stumm«, sagte sie. Zum ersten Mal seit langem musste ich lächeln. »Sie mögen ihn nicht«, stellte sie fest.
»Am liebsten würde ich ihn auch im richtigen Leben auf stumm stellen«, sagte ich.
Veronica zögerte einen Moment. »Sie haben also nicht wieder geheiratet«, sagte sie dann.
»Nein.«
»Jemand wie Sie bleibt bestimmt nicht ewig Single.«
Vor Syds Verschwinden hatte ich mich ab und zu mit einer Frau getroffen, doch die Tage dieser Beziehung wären auch gezählt gewesen, wenn sich mein Leben nicht von Grund auf geändert hätte. Eine tolle Bettgeschichte kann einen für ein paar Wochen aus Alltagstrott und trüben Gedanken reißen, aber am Ende rät einem der Verstand eben doch, lieber die Finger davon zu lassen.
»Wäre es möglich, dass meine Tochter trotzdem für jemanden hier im Hotel gearbeitet hat? Unter der Hand? Ich glaube nämlich, dass sie in bar bezahlt worden ist.«
Ich zog eins der vielen Fotos von Syd heraus und legte es auf den Tisch.
»Lassen Sie mich ehrlich sein«, sagte Veronica.
»Ja?«
»Hmmm.« Sie senkte die Stimme. »Zugegeben, hier läuft nicht immer alles superkorrekt.«
Ich beugte mich vor. »Was meinen Sie damit?«
»Na ja, eben nicht über die Bücher. Die eine oder andere Aushilfe wird durchaus mal schwarz bezahlt. Natürlich nicht jede, aber man muss dem Finanzamt ja nicht alles direkt in den Rachen werfen.«
»Na klar.«
»Aber selbst wenn Ihre Tochter unter der Hand für uns gearbeitet hätte und uns das in Teufels Küche bringen könnte, würde ich Ihnen die Wahrheit sagen. Kein Vater sollte so etwas durchmachen müssen.«
Ich nickte, den Blick auf Syds Foto gesenkt.
»Ein auffällig hübsches Mädchen«, bemerkte Veronica.
»Danke.«
»Irgendwie ein wenig … skandinavisch?«
»Ihre Mutter hat norwegische Vorfahren«, sagte ich, während mir etwas anderes einfiel. »Zu dumm, dass die Kameras über
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