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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Franchisenehmer durchzukommen. In Carolines Ohr klangen jedoch noch Gilles’ Worte, mit denen er den Big Boss zitiert hatte.
Lauter kleine Unternehmer, die uns ständig ans Bein pinkeln werden.
Henning war ein schmieriger Intrigant und Kerity ein Mann, der guten Stil und Fairness schätzte. Leider schätzte er den Wert einer Marke ebenso hoch. Gott sei Dank hatten bisher weder Zeitungen noch Fernsehsender den blutbesudelten Namen Heckeroth in einem Atemzug mit Caroline und der Chocolaterie Jacques Kerity genannt.
    Sie stieg aus dem Lift und wurde in ihrem Büro von Tanja Wiezorek schon ungeduldig erwartet. »Ich dachte schon, Sie kommen nicht. In zehn Minuten geht es los. Haben Sie alles?«
    »Alles, was ich brauche, ist hier«, Caroline wies auf die Laptoptasche, »und notfalls hier.« Sie deutete auf ihren Kopf und machte sich auf den Weg zum Konferenzraum. Alles wird gut, sagte sie sich, hob den Kopf und atmete durch. Dann stieß sie die Tür zum Tagungsbüro auf. Alle waren schon da. Man musterte sie wie eine Jahrmarktsattraktion, aber niemand sprach sie auf Albert an. Nur Henning in seinem silbergrauen Anzug lächelte wie ein Rochen.
    Zuerst ging es um Zahlen und Fakten, dann um die Produktneuentwicklungen, wobei Jacques Kerity Carolines Idee für die Herbstpralinen und die Marktforschung dazu überschwänglich lobte. »Mädchen, Sie werden es noch weit bringen.«
    In die Freude über diese Anerkennung mischte sichUnmut über die Bezeichnung
Mädchen
und eine Form von diffusem Unbehagen. Diesem Gefühl nachzuspüren blieb jedoch keine Zeit. Sie war an der Reihe. Der Beamer projizierte die Powerpointpräsentation an die Wand. Caroline betete Zahlen und Aktivitäten herunter, bemerkte, wie Hennings Rochengesicht sich langsam in die Breite verzerrte und Kerity die Augenbrauen zusammenzog. Sie sah zu Gilles, der knapp an ihr vorbeiblickte.
    Kerity unterbrach sie mitten im Satz. »Mädchen, so geht das nicht. Wir können nicht das ganze Budget in die Werbung für das neue Produkt stecken. Franchise-Partner zu finden kostet Geld. Ein Artikel in der Presse wird nicht genügen, sie in unsere Arme zu treiben.«
    Caroline gelang es, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Henning betrachtete lächelnd seine Fingernägel, Gilles öffnete seinen Laptop. Caroline kramte hektisch in ihrem Gedächtnis nach der gelöschten Alternativplanung, während sie Kerity mit Worthülsen überschwemmte, um vom eigentlichen Problem abzulenken: Sie hatte keinen Rückhalt durch ihren Vorstand. Warum hatte Gilles das getan? Warum hatte er sie nicht informiert, dass es Henning gelungen war, den Big Boss auf seine Seite zu bringen? Sie sah, wie Gilles seinen Laptop an den Beamer anschloss, während sie verstummte, hörte, wie er von Alternativplanung und Doppelstrategie sprach, von Slowmotion Marketing –
was bitte schön sollte das sein?
 –, der adäquaten Strategie für die Marktplatzierung des neuen Produkts, welches sich im Glanz des Namens Kerity langsam und stetig seinen Platz erobern würde, auch ohne großes Werbebudget.
    Sie lehnte sich zurück und begann zu verstehen. Gilles’ Ziel war der Aufsichtsrat, dafür brauchte er eine Erfolgsgeschichte. Er ist feige, er sichert sich doppeltab. Schwimmweste plus Rettungsring, dachte sie erbost. Wenn man mich wegen meiner Familie zum Teufel jagt, dann hat er immer noch Henning. Und falls ich doch überlebe, wird er Henning und mich bis zum Börsengang gegeneinander ausspielen, bis er seinen Platz im obersten Gremium gesichert hat. Mit einem Mal hatte sie diese Spielchen satt. Gilles’ Worte gingen an ihr vorbei, Hennings selbstzufriedenes Lächeln prallte an ihr ab, Keritys patriarchalisches Gehabe ließ sie unberührt. Was tat sie hier? Sie verkaufte zu einem Luxusprodukt veredelte Schokolade an Menschen, die im Überfluss lebten. War es das, was sie wollte?
    Sie sah, wie sie ihren Laptop zuklappte, den Stuhl zurückschob und aufstand. Dabei bemerkte sie Gilles’ verwunderten Blick und das triumphierende Leuchten in Hennings Augen. »Lassen Sie sich nicht stören. Aber für mich ist es Zeit zu gehen.« Hatte sie das wirklich gesagt? Bis zur Tür fühlten sich ihre Knie etwas weich an. Auf dem Flur gewann ihr Schritt dann seinen festen Klang zurück. Trotzdem war ihr übel. Sie ging an Tanja Wiezorek vorbei in ihr Büro, steckte ihren Laptop in die Tasche, nahm Handtasche und Mantel und schaltete das Handy aus. Ihrer erschrockenen Sekretärin wünschte sie ein schönes Leben

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