INAGI - Kristalladern
Mittel zum Zweck gewesen. Regte sich deswegen auf einmal sein Gewissen? Oder warum war ihm daran gelegen, dass sie seine Beweggründe verstand?
Er drehte sich zu ihr um und sah sie ernst an. »Wenn du die Männer da draußen vor den Drachen warnst, werde ich dafür sorgen, dass niemand Hand an deinen Bruder legt. Ich gebe dir mein Wort darauf. Falls dir das Wort eines Gohari etwas bedeutet.«
Ishira schwieg. Konnte sie ihm wirklich vorwerfen, dass er sie benutzt hatte? Sie hätte an seiner Stelle vermutlich genau dasselbe getan. Und wer sonst konnte ihr jetzt noch helfen? Ihm konnte sie zumindest Glauben schenken. Kiresh Yaren vertrat zwar die Interessen der Gohari, aber er war weder ein Lügner noch jemand, der ein Versprechen leichtfertig gab. Und sie schätzte ihn als einflussreich genug ein, um Kenjin tatsächlich zu beschützen. Welche Wahl blieb ihr? »Also gut. Ich nehme Euer Angebot an.«
Ihr Begleiter wandte sich zum Gehen. »Dann haben wir eine Abmachung.«
Als er fort war, sank sie auf die Knie. Die Götter mochten ihr vergeben: Sie hatte sich an die Gohari verkauft. Für Kenjin. Das Leben ihres Bruders war alles, was zählte. Nichts anderes spielte mehr eine Rolle. All ihre Überlegungen, was sie tun sollte, was richtig oder falsch war, waren hinfällig geworden. Für sie gab es nur noch diesen einen Weg.
Als ihr Begleiter am frühen Abend zurückkehrte, war er nicht allein. »Telan Mebilor!« rief Ishira entgeistert. »Was macht Ihr denn hier?«
Der Heiler zuckte gutmütig mit den Schultern. »Irgendeiner muss die Kireshi nach dem Kampf schließlich wieder zusammenflicken.« Er sah sie teilnahmsvoll an. »Als ich gehört habe, dass ein inagisches Mädchen hier ist, habe ich mir gleich gedacht, dass du das sein musst.« Um seinen Mund zuckte ein Ausdruck des Bedauerns. »Deine Gabe wird für uns unbestreitbar von großem Wert sein. Trotzdem tut es mir leid, dass du in diese Sache hineingezogen wurdest. Und dein Bruder noch dazu. Es würde mich nicht wundern, wenn du uns deswegen alle zu den Höllen wünschst.«
Trotz ihrer Anspannung musste Ishira lächeln. »Die Versuchung war da«, gab sie zu. »Trotzdem tut es gut, Euch zu sehen, Deiro.« Sie war ehrlich froh darüber, dass er hier war. Mit ihm und Kiresh Yaren fühlte sie sich ein wenig zuversichtlicher. »Wisst Ihr etwas von Kenjin?« fragte sie begierig.
»Deinem Bruder?« Telan Mebilor nickte. »Wir waren gerade bei ihm. Mach dir keine Sorgen, er ist wohlauf.«
»Er wird in einem eigenen Zelt gefangen gehalten«, fuhr Kiresh Yaren fort. »Aber ich werde versuchen, den Shohon davon zu überzeugen, dass du dich besser auf deine Aufgabe konzentrieren kannst, wenn dein Bruder unterwegs bei dir ist und du dir um ihn weniger Gedanken machen musst.«
Dass er für sie und Kenjin mehr tun wollte, als nötig war, um sein Versprechen zu halten, und das, obwohl er nicht einmal sicher sein konnte, dass sie ihren Teil der Abmachung einhalten würde, überraschte sie. »Ich danke Euch, Deiro. Das bedeutet mir viel.« Erst als sie die Worte aussprach, merkte sie, dass sie eine doppelte Wahrheit enthielten. Nicht nur um Kenjins Willen bedeutete es ihr etwas, dass er für sie eintrat.
»Mögen die Götter geben, dass wir dieses Unternehmen heil überstehen«, murmelte Telan Mebilor. Er glättete seine Robe. »Leider muss ich euch schon wieder verlassen. Ich habe noch etwas mit den anderen Heilern zu besprechen. Aber in den nächsten Tagen müssen wir uns unbedingt ausführlicher unterhalten.«
Der Kiresh nickte. »Natürlich. Du bist jederzeit willkommen.«
* * *
Die Zeit bis zum Beginn des Feldzugs dehnte sich wie eine halbe Ewigkeit. Ishira hockte überwiegend allein und untätig in dem Zelt, das sie mit ihrem Begleiter teilte. Ihn bekam sie nur noch morgens und abends zu Gesicht, wenn sie ein schweigsames, karges Mahl miteinander teilten. General Helon hatte Kiresh Yaren in seinen Stab geholt und er hielt sich mit den anderen Anführern die meiste Zeit im Beratungszelt auf um zu erörtern, wie die Armee am besten vorgehen sollte. Er hatte Ishira eingeschärft, nicht allein im Lager herumzulaufen, aber dieser Warnung hätte es gar nicht bedurft. Eher hätte sie sich in die Höhle eines Amanori gewagt als mitten unter die Gohari.
Ihren Bruder sah sie während dieser Tage nicht öfter, als sie Finger an einer Hand hatte. Er machte einen gesunden und gefassten Eindruck, aber es war ihr nicht erlaubt, mit ihm zu sprechen. Um nicht zu viel an ihn und
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