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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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schwarzen Augen spiegelt sich die hellblaue Neonreklame des gegenüberliegenden Landmaschinenhandels. Sie fingert eine Papiertüte aus einer Schublade und notiert darauf: »Zwei Tabletten täglich, je eine morgens und eine vor der Nachtmahlzeit. Von der Star Pharmacy, Tirunelveli …« Plötzlich hält sie inne. »Ich kann mich nicht konzentrieren, um die richtigen englischen Worte zu finden.« Radha zerknüllt die Papiertüte und ersetzt sie durch eine unbeschriebene.
    Balakrishnan und ich hocken uns in das einzige klimatisierte Café im Stadtzentrum. »Mein Hotelzimmer ist ziemlich laut«, sage ich. »Nebenan wird renoviert. Gibt es in Tirunelveli noch eine andere gute Unterkunft?«
    Der Beamte nickt. »Ja, ja. Ich fahr dich nachher hin. Aber jetzt erzähl erst mal. Was machst du eigentlich hier?«
    »Ich laufe durch Indien.«
    »Du meinst zu Fuß?«
    Balakrishnan zieht kurz die Augenbrauen hoch. Dann setzt er schnell eine betont ungerührte Miene auf. Denkt er, dass subkontinentale Fußmärsche eine neue europäische Mode sind, und will nicht wie ein unwissender indischer Bauerntölpel erscheinen? Oder will er einfach nur vermeiden, mich zu verletzen?
    »Um Indien zu sehen, kannst du doch auch mit dem Bus fahren. Oder mit der Bahn.«
    »Stimmt, aber mir geht es darum, möglichst nichts auszulassen. « Ich stippe meine Bhaji, frittierte Zwiebeln, in den süßen Milchkaffee und beobachte ein zaghaft flirtendes Pärchen am Tisch gegenüber, das aussieht wie südasiatische Wiedergänger von James Dean und Natalie Wood.
    »Indien hat so viel Schönes zu bieten«, konstatiert Balakrishnan. »Warum willst du dahin gehen, wo es hässlich ist? Geh lieber in die Berge. Da ist es ruhig und kühl.« Der Beamte holt einen Zettel aus der Gesäßtasche seiner olivgrünen Bundfaltenhose, krickelt Flüsse, Hügelketten und Pilgerorte auf das weiße Papier und hämmert mit dem Stift auf einen dreimal fett umkringelten Punkt. »Dies ist Courtallam. In drei Stunden bist du dort. Da gibt es riesige Wasserfälle, das beste Klima, die Luft ist sauber. Von dort kannst du fast bis nach Bangalore durchs Gebirge wandern. Okay?«
    »Ich denke drüber nach.«
    »Na gut«, sagt Balakrishnan. Aber irgendwie wirkt er jetzt beleidigt. Er hebt die Stimme. »Ich habe noch eine Bitte. Ich bin Verkehrspolizist. Ich weiß, dass die indischen Autofahrer verrückt sind, die Lkw-Fahrer sind die schlimmsten. Hunderte
Menschen werden in Tamil Nadu jedes Jahr überfahren. Tu mir also wenigstens einen Gefallen: Geh rechts auf den Straßen, damit du die entgegenkommenden Autos siehst. Besonders wenn du im Dunkeln unterwegs bist. Versprichst du mir das?«
    Ich gucke ihn irritiert an. Und verspreche es. »Zeigst du mir jetzt das andere Hotel?«
    »Ich fahr dich hin. Aber vorher muss ich noch mal kurz ein paar Unterlagen aus der Wache holen.«
    Die Polizeistation von Tirunelveli liegt in einer Seitengasse der Altstadt, ein Kolonialbau mit offen stehenden Gitterfenstern. »Da kannst du nicht mit rein«, sagt er. »Wartest du hier?« Ich warte. Ich sehe Uniformierte hinein- und hinauslaufen. Eine Polizistin führt eine Alte ab, die wie eine Marktverkäuferin aussieht und weint und zittert. Ein Beamter fragt mich, auf wen ich warte. Ich bezweifle, dass er meine Antwort versteht, aber er nickt. Der Strom fällt aus, Kerzen werden in dem Gebäude entzündet, sie flackern im Luftzug und erlöschen. Mücken fallen über meine Fersen her, die ungeschützt in Badelatschen stecken. Ich habe Angst vor Malaria und Denguefieber. Aber ich habe meine Füße nicht eingesprüht, um die pickelübersäte Haut mit dem klebrigen Mückenspray nicht weiter zu reizen. Nach einer Dreiviertelstunde gebe ich auf.
    Ich bin Balakrishnan nicht böse. Vielleicht gibt es einfach kein besseres Hotel und er mag es nicht zugeben. Aber vor allem habe ich ihn enttäuscht. Ich habe den guten Rat eines indischen Polizisten in den Wind geschlagen. Ich bin respektlos gewesen. Obwohl er mir geholfen hat, eine Apotheke zu finden. Ich beschließe, eine weitere Nacht in dem muffigen Hotelzimmer zu verbringen und zu warten, ob die Medizin wirkt.
    Am nächsten Morgen statte ich dem schicken neuen Poothy-Supermarkt einen Besuch ab: ein Palast aus geschliffenem Marmor, ein Schiff der Moderne, ein einschüchternder Fremdkörper über den bescheidenen Holzbauten der Innenstadt von Tirunelveli. Wer es schafft, sein Fahrzeug durch die Menschenmassen bis hierher zu manövrieren, hat die zweifelhafte Chance, von

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