Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
Haar fiel über ihren Rücken, sie atmete leise und regelmäßig. Ihre Wirbelsäule, ihre Schulterblätter. Das graue Dämmerlicht des Zimmers auf ihren Flanken.
    Das hat sie absichtlich gemacht, dachte Robert. Die letzten drei Nächte hat sie bereits mit Pyjamaoberteil geschlafen, Ich frier so leicht, Frauen haben eine andere Durchblutung als Männer, ein vollkommen anderes System, und es war ja auch schon etwas kühl geworden. Die Haut auf ihren Schultern hatte diese feine, grübchenreiche Elastizität, wenn sie sich über den runden Knochen spannte. Alles Runde ist ein Mysterium, eben weil es rund ist. Das begriff man zum ersten Mal, wenn man versuchte, einen Apfel zu zeichnen. Mein Gott, die vielen Stunden, vergeudet in Stillleben-Zeichenklassen. Wo die Reglosigkeit der Schüler die Reglosigkeit der Früchte sogar noch übertraf. Die Früchte wurden wenigstens faul und fingen an zu riechen, das war Leben, aber in den Schülern … Nicht einmal, wenn sie ganz in Roberts Nähe gesessen waren, hatten sie irgendeine Reaktion gezeigt. Er hatte sich noch nie so nackt gefühlt wie damals, zum ersten Mal außerhalb seiner Zone.
    Er machte einen tiefen Atemzug und roch für einen kurzen Augenblick wieder die stickig heiße Luft im Inneren seines Lichtenberghäuschens in der Helianau, und darin, im stillen Lichtkreis der kleinen Leselampe: die Obstschale, der Altar, auf dem die bildenden Künstler seit Cézanne ihr Talent opfern und sich selbst geißeln. Und rund um ihn unzählige Fruchtfliegen, wie eine Hautkrankheit der Luft.
    Mit einem Schnaufen hob Cordula ihren Kopf. Sie blickte sich um, sah Robert und sagte:
    – Oh.
    Er nickte ihr zu.
    Dann kletterte er auf sie, sofort kam ihm ihr Geruch entgegen, ihr Atem, der aufgrund des Beruhigungsmittels abgestanden und sauer roch. Dennoch hatte er das Bedürfnis, sie zu küssen, aber sie lag eckig und ungastlich da, also begnügte er sich damit, zwischen ihre Beine zu rutschen und sich an sie zu drücken. Sie sagte nichts, aber ließ ihn in sie eindringen, allerdings nur ein paar Zentimeter. Sie war überhaupt nicht feucht, also würde es sowieso nur unter großen Schmerzen gehen. Robert blieb, wo er war. Am Eingang, zwischen Tür und Angel. Ein weiterer Atemzug stickig heißer Luft aus der Vergangenheit.
    Ich bin grausam, dachte er. Und für einen Moment fiel der Schatten eines Bildes auf ihn, wie ein Vogel, der über eine Schneelandschaft huscht: das Bild eines zerzausten Hahns, den er in einer Kiste durch den Schnee trug, es schien so weit von ihm und seiner Situation entfernt, das Tier war auch tot inzwischen, und trotzdem war es da, hell wie das Licht am Ende eines Tunnels.
    Ich bin grausam.
    Normalerweise musste Cordula jeden Morgen kurz nach dem Aufwachen aufs Klo. Jetzt konnte sie nicht, und er drückte sich gegen sie, drückte vielleicht auch auf ihre Blase. Grausam.
    – Warte, sagte sie leise und zutraulich. Du … kannst du …
    Sie versuchte, ihn in eine angenehmere Position zu bringen. An einem anderen Tag hätte sie ihn weggestoßen, ihn einen Dummkopf und einen räudigen Hund genannt und hätte sich im Badezimmer Zeit gelassen, bis seine Erregung wieder abgeklungen war. Dann wäre sie nackt durchs Zimmer marschiert und hätte vielleicht gefragt, was er heute vorhabe. Sie müsse ja zur Arbeit gehen, Geld verdienen, normal sein und so, und er, was würde er machen, den ganzen Tag? Und daraus würde vielleicht ein kleiner Streit entstehen, der Ersatz für die abgebrochene Intimität.
    Aber heute – nichts.
    Sie bewegte sich vor und zurück, als würde ihr Becken beschwichtigend nicken, ja, ja, ich hab verstanden, schon klar, alles klar – und er wusste, dass er jetzt so etwas wie Mitleid empfinden könnte. Sie hatte diesmal tatsächlich Angst bekommen, er könnte für immer fortgehen. Und das würde er ja auch, gleich morgen. Heute Vorbereitungen, Telefonate, Tickets; morgen Abreise. Sie wollte nicht, dass er wegfuhr, und deshalb hielt sie still. Robert hatte Respekt vor dieser Haltung, vor dieser Konsequenz. Ich bin grausam, dachte er noch einmal und spürte, wie er zusammenschrumpfte, weich wurde, aus ihr glitt. Sie streichelte ihm mit der Hand über die Wange.
    Es stimmte ja eigentlich alles mit ihr. Es war nicht ihre Schuld. Sie war freundlich, aufmerksam. Ihre Wohnung war hell. Sie roch wunderbar, sogar ihre Kopfhaut und die immer leicht verschwitzte Hautstelle zwischen ihren Schulterblättern. Und ihr dunkelblondes Haar war gesund und kräftig. Sie

Weitere Kostenlose Bücher