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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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den Baum vor lauter Zweigen. Und selbst dann sitzen immer noch Vögel auf dem Baum und zwitschern.
    Etwas Zärtlicheres zu sagen war ihm im Augenblick nicht möglich. Cordula verstand und lachte über den Witz.
    Wenig später kam Cordula, die alles erledigt hatte, zu Robert ins Vorzimmer, der mehr oder weniger entspannt inmitten der Einzelteile hockte.
    – Alles okay bei euch?, fragte sie.
    Obwohl der fröhliche Ton Robert irritierte – er mochte es nicht, wenn sie Angst vor ihm hatte –, antwortete er leise:
    – Ja, alles so weit okay. Ich … ich hab nur versucht, ihn zu reparieren. Er ließ sich nicht mehr aufspannen und …
    – Und? Hat’s funktioniert?
    Er schüttelte den Kopf.
    – Wie geht’s dir, mit …?
    – Keine Nachbeben, sagte Cordula und setzte sich neben ihn auf den Boden.



7  IN DER ZONE – 2. Folge
von Clemens J. Setz  *
Der Kopf
    Am nächsten Morgen entdeckte ich in meinem Hotelzimmer eine Tür, die auf einen Balkon führte. Angenehm überrascht, als wäre dieser Zugang dem Raum erst durch meine eigenen Traumanstrengungen über Nacht gewachsen, trat ich hinaus. Es roch nach dem warmen, von jahrelanger Sonneneinstrahlung teerschwarz gewordenen Holz, und ich sah mich einer ungewöhnlich großen und ungewöhnlich schönen Gießkanne gegenüber. Ihr blecherner Kopf war vorgereckt, als wäre sie vor etwas auf der Hut, und als ich sie berührte, gab sie ein helles Scheppern von sich, als hätte sie lange auf diese Erlösung aus der Starre gewartet. Im Gegensatz zu Gießkannen aus Plastik haben solche aus Blech einen unverkennbaren Charakter, eine bestimmte Körperhaltung, die der einer mitten in der Wirbelbewegung auf einem Foto eingefrorenen Balletttänzerin gleicht. Ihr Leib ist zylindrisch und streng, ihre Oberfläche meist rau und angenehm widerspenstig gegenüber der Haut der Handfläche. Fingernägel brechen leicht an ihr ab. Im Inneren der Gießkanne entdeckte ich, als ich sie ins Licht hielt, ein System weißer, fedriger Spinnennetze, und ich ging sofort ins Zimmer zurück, um mein Handy zu suchen und Julia anzurufen und ihr von meinem Fund zu erzählen. Während es klingelte, stand ich neben der Gießkanne und blickte sie an, es klingelte dreimal, viermal, dann legte ich schnell auf, weil mir auffiel, wie unsinnig das war, was ich machte. Es war doch nichts, nur eine Gießkanne mit ein paar Spinnweben darin, auf einem Hotelzimmerbalkon in der Pension Tachler, in diesem schon früh am Morgen sonnig vor sich hin summenden Ort. Der Kirchturm unddie Gießkanne hatten fast genau dieselbe Farbe, konnte ich jetzt feststellen. Ich versuchte, mit dem Handy ein Foto von dieser bemerkenswerten Übereinstimmung zu machen, aber es funktionierte nicht, das Gegenlicht tauchte alles auf dem Bild in mitternächtliche Schwärze.
    Das Geklapper von Pferdehufen war in einiger Entfernung zu hören, als ich aus der Pension trat, ein wunderbares, entspannendes Geräusch, als würde sich die Landschaft räuspern. Frau Stennitzer hatte angekündigt, dass Christoph heute kurz mit mir sprechen werde. Er sei ja der Grund für meinen Besuch und nicht, haha, sie selbst, hatte sie gesagt, ja, sie wisse natürlich, wie die Prioritäten auf der Welt verteilt seien, im Allgemeinen …
    Der Geruch nach Raumspray, der mir schon im Vorzimmer entgegenschlug, war noch unerträglicher als am Tag zuvor. Ich wollte schon fragen, ob man vielleicht ein Fenster aufmachen könnte, aber Frau Stennitzer führte mich sofort ins Wohnzimmer. Sie hatte schweißnasse Hände, und an ihrem Gürtel hing ihr Handy in einer aufklappbaren Tragetasche.
    Als ich das Wohnzimmer betrat und sah, was dort auf dem Sofa saß, ließ ich vor Schreck mein Notizbuch und den Muffin fallen, den ich mir auf dem Weg hier herauf in der Bahnhofsbäckerei gekauft hatte, und rannte zurück ins Vorzimmer. Erst am belustigten Gesicht von Frau Stennitzer, die mir mit beruhigend aufgestellten Handflächen nachkam, merkte ich, dass ich laut geschrien haben musste. Ich hörte Gelächter. Frau Stennitzer legte eine Hand auf meine Brust, dann auf meine Schulter.
    – Geht’s?, fragte sie, kichernd. Sie haben sich erschreckt, hihihi, Sie haben sich … haben Sie wirklich?
    – Was zum Teufel ist das?!
    Sie ging mit mir zurück ins Wohnzimmer und kicherte weiter vor sich hin.
    – Ah, das ist eine Maske, sagte ich.
    – Hihihihi, machte Frau Stennitzer.
    – Und darunter ist …?
    – Ja, wir haben es lieber so, sagte die Mutter zu dem Ungetüm.

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