Indigo (German Edition)
Peter hatte sie kurz nach der Geburt des Sohnes verlassen. Er hatte sich seither nicht mehr gemeldet, und Frau Stennitzer suchte auch nicht nach ihm. Sie sei bisher ganz gut allein zurechtgekommen, sagte sie, ihre Eltern seien die meiste Zeit hier, als Verstärkungseinheit, wie sie es nannte.
– Wie haben Sie Christophs Vater kennengelernt?
– Ach, ganz normal. Wie man das halt so macht. Möchten Sie noch einen Pfirsichsaft? Wenn er Ihnen schmeckt –
– Nein danke.
– Aber Sie haben nur ein Glas genommen.
– Ja, im Augenblick bin ich zufrieden.
– Gut, okay, also … Ja, er hat mich verlassen. Ist nicht gerade eine Triumphgeschichte. Er hat gesagt, er geht nur mal kurz raus, Zigaretten holen. Ja, ehrlich. Ich weiß, Zigaretten holen, ich meine … Ja, er hat geraucht. Und er ist auch öfter abends rausgegangen, um sich welche zu besorgen … Gott, ich war damals sehr naiv, aber was hätte ich denn machen sollen?
Sie goss mir noch ein Glas Pfirsichsaft ein. Dabei verschüttete sie ein wenig und wischte die Flüssigkeit mit der Handfläche vom Tisch, die sie hinterher mit einer müden, kraftlosen Geste an ihrer Hose abstreifte. Sie schien in Gedanken verloren.
Wie, dachte ich, machen das die Männer, die sagen: Ich gehe nur kurz Zigaretten holen – und die seither wie vom Erdboden verschluckt waren. Vielleicht rannten sie ja alle planlos durch die unterirdischen Stollen, die für die große Tunnel-Stadt, das Schulprojekt Giraffe in Riegersdorf, angelegt worden waren.
– Wahrscheinlich hat er nicht einmal wirklich geraucht, verstehen Sie?
Ich blickte auf.
– Wie meinen Sie?
– Na ja, sagte Frau Stennitzer. Der Lauf der Welt. Man probt und probt und dann – bumm, die Vorstellung. Mich würde es nicht wundern, ganz ehrlich. Wenn er immer nur gepafft hätte. Wissen Sie? Ihm ist das zuzutrauen. Jede Woche eine Generalprobe.
– Haben Sie eigentlich schon einmal von diesen Tunnelsystemen gehört, die es in –
– Ja, sagte Frau Stennitzer, natürlich. Sicher, diese Sache in Riegersdorf. Ja, die haben gedacht, sie lösen das Problem so richtig von Grund auf … Quasi aus den Augen, aus dem Sinn, oder?
Sie nahm einen großen Schluck Pfirsichsaft aus meinem Glas.
Ich kehrte erst abends in die Pension Tachler zurück. Als ich eintrat, sah ich, wie die junge Frau an der Rezeption mit einer hastigen Bewegung den Käfig mit dem Vogel hochhob und (wie am Morgen der Mann mit der Brille) auf den Boden stellte, als wollte sie ihn vor mir schützen. Ihr Gesicht war freundlich, aber sie behielt mich im Auge.
– Guten Abend, sagte ich.
Sie erwiderte meinen Gruß und zog sich in den hinteren Bereich der Rezeption zurück, zwischen einige Kisten und Kartons, die dort herumstanden. Sie tat so, als suche sie etwas, und ichweiß nicht warum, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders, als ein paar Schritte auf sie zu zu machen.
– Entschuldigung, sagte ich. Meine Hände sind ganz kalt, und meine Fingerspitzen sind praktisch taub. Würden Sie sie vielleicht kurz anfassen?
Sie wich weiter zurück.
– Bitte?, sagte sie.
– Meine Hände sind irgendwie … ich weiß nicht, vielleicht habe ich etwas nicht vertragen, eine allergische Reaktion, oder …
– Soll ich den Notarzt rufen?, fragte sie, kam aber nicht näher.
– Nein danke, sagte ich und zog die Hände zurück. Es geht schon ein bisschen besser. Wahrscheinlich nur eine Durchblutungsstörung. Hm, komisch …
Das Gesicht der jungen Frau war bleich.
Auf dem Weg zur Treppe hatte ich Mühe, das Grinsen zu unterdrücken. Erst im Zimmer kam das schlechte Gewissen. Ich telefonierte noch ein wenig mit zu Hause, schaltete dann durch ein paar Kanäle, blätterte meine Notizen durch und ergänzte einige Dinge, während ich gegen die leichte Klaustrophobie ankämpfte, die in mir aufstieg.
Zuerst versuchte ich, mich abzulenken, indem ich das Hotelzimmer nach versteckten Kameras und Mikrofonen durchsuchte.
– Ferenc, hallo?, murmelte ich, während ich suchte. Calling Ferenc? Ferenc calling!
Dann kontrollierte ich die genaue Räderstellung meines Trolleys und seinen Inhalt. Ich hatte ihn seit meiner Ankunft nicht mehr angerührt, und vielleicht hatte ihn jemand während meiner Abwesenheit durchsucht. Aber alles war an seinem Platz, und ich saß, schwer atmend, am Fenster und schaute in die mit einer prächtigen, gelblichen Mondmedaille ausgezeichnete Nacht. Spät nachts kam die Erlösung: eine Dokumentation über Paare
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